Page 762 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Wer undankbarer ist, ein Volk oder ein Fürst.
Der obige Gegenstand legt die Frage nahe, wer schlimmere Beispiele
von Undankbarkeit liefert, die Fürsten oder die Völker. Schicken wir zu
diesem Zweck voraus, daß das Laster der Undankbarkeit entweder aus
Geiz oder aus Argwohn entspringt. Hat nämlich ein Volk oder ein Fürst
einen Feldherrn zu einer wichtigen Unternehmung entsandt und der
Feldherr hat sie glücklich beendet und viel Ruhm erworben, so muß der
Fürst oder das Volk ihn dafür belohnen. Wenn sie ihn aber statt dessen
aus Geiz entehren oder kränken, so begehen sie ein unentschuldbares
Unrecht, ja sie ziehen sich ewige Schande zu. Dennoch sündigen hierin
viele Fürsten. Tacitus gibt den Grund in folgender Sentenz an:
Proclivius est iniuriae, quam beneficio vicem exsolvere, quia
gratia oneri, ultio in quaestu habetur. Historien IV, 3. (Viel
leichter ist es, Unbill als Wohltaten zu vergelten, denn Dankbarkeit gilt
als Last, Rache als Gewinn.) Belohnen sie ihn aber nicht, oder besser
gesagt, kränken sie ihn nicht aus Geiz, sondern aus Mißtrauen, so
verdienen Fürst und Volk einige Entschuldigung.
Beispiele der Undankbarkeit aus diesem Grunde sind zahlreich. Denn
ein tapfrer Feldherr, der seinem Herrn ein Reich erobert, die Feinde
geschlagen, sich mit Ruhm bedeckt und seine Soldaten mit Schätzen
beladen hat, erwirbt sich bei seinen Soldaten, bei den Feinden und bei
den eignen Untertanen des Fürsten notwendig solches Ansehen, daß sein
Sieg seinem Herrn nichts Gutes verkünden kann. Da nun der Mensch
von Natur ehrgeizig und mißtrauisch ist und im Glück niemals Maß
halten kann, so wird das Mißtrauen, das den Fürsten sofort nach dem
Sieg seines Feldherrn ergreift, von diesem selbst unvermeidlich durch
irgendeine übermütige Äußerung oder Handlung verstärkt. So kann der
Fürst nur darauf sinnen, sich vor ihm zu sichern und ihn zu diesem
Zweck entweder töten zu lassen oder ihm das Ansehen zu entziehen, das
er sich bei Heer und Volk erworben hat. Hierzu muß der Fürst nach
Kräften den Glauben erwecken, daß der Sieg seines Feldherrn nicht
seiner Tapferkeit, sondern dem Glück, der Feigheit der Feinde oder der
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