Page 767 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einunddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                     Die römischen Feldherren wurden für begangene Fehler nie in
                  außergewöhnlicher Weise bestraft; ja sie wurden auch dann nicht
                  bestraft, wenn ihr Ungeschick oder ihre falschen Maßnahmen der
                                          Republik Schaden zufügten.


                Wie oben gesagt, war Rom nicht allein weniger undankbar als andre
                Republiken, sondern auch milder und rücksichtsvoller in der Bestrafung

                seiner Heerführer. Hatte einer Fehler aus bösem Willen gemacht, so
                strafte man ihn gelinde, hatte er sie aus Ungeschick begangen, so strafte
                man ihn gar nicht, vielmehr belohnte und ehrte man ihn. Dies Benehmen
                war weise. Die Römer hielten es für wesentlich, daß ihre Heerführer ihre
                Entschlüsse frei und rasch und ungehindert durch äußere Rücksichten

                faßten. Deshalb wollten sie die Gefahren und Schwierigkeiten einer an
                sich schwierigen und gefahrvollen Sache nicht noch erhöhen, denn sie
                hielten es für unmöglich, daß jemand in diesem Fall kraftvoll handeln
                könnte. Schickten sie z. B. ein Heer nach Griechenland gegen Philipp
                von Mazedonien oder in Italien gegen Hannibal oder gegen die Völker,
                die sie zuerst überwanden, so war der mit diesem Kriegszug betraute
                Feldherr durch alle die Sorgen bedrückt, die wichtige und entscheidende

                Unternehmungen mit sich bringen. Kamen zu diesen Sorgen nun noch
                Beispiele von Heerführern, die wegen einer verlorenen Schlacht
                gekreuzigt oder auf andre Weise umgebracht worden waren, so konnte
                der Feldherr unter so vielen Ängsten und Sorgen unmöglich einen
                kräftigen Entschluß fassen. Sie waren daher der Meinung, daß die
                Schande einer verlorenen Schlacht Strafe genug war, und wollten ihn

                nicht durch eine größere Strafe entmutigen.
                     Wir haben ein Beispiel für einen nicht aus Ungeschick begangenen
                Fehler. Sergius und Virginius belagerten Veji, Vgl. Livius V, 8 ff. jeder
                mit einem Teile des Heeres; Sergius stand auf der Seite, von der die
                Etrusker kommen konnten, Virginius auf der andern. Als nun Sergius
                von den Faliskern und andern Völkern angegriffen wurde, ließ er sich
                lieber schlagen und in die Flucht jagen, als den Virginius um Hilfe zu

                bitten. Andrerseits wollte Virginius, der darauf wartete, daß jener sich
                demütigte, lieber die Schande des Vaterlandes und den Untergang des





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