Page 763 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einsicht der andren Führer zuzuschreiben ist, die an dem Feldzug
                teilnahmen.
                     Als Vespasian in Judäa von seinem Heere zum Kaiser ausgerufen

                war, ergriff Antonius Primus, der mit einem andern Heer in Illyrien
                stand, seine Partei, Vgl. Tacitus, Historien II, 86 ff. zog nach Italien
                gegen Vitellius, der in Rom regierte, schlug mit größter Tapferkeit zwei
                Heere des Vitellius und nahm Rom ein, so daß der von Vitellius
                abgesandte Mucianus jede Schwierigkeit überwunden und alles getan
                fand. Der Lohn des Antonius bestand darin, daß Mucianus ihm sofort
                den Oberbefehl über das Heer nahm und ihm nach und nach alle Gewalt

                in Rom entzog. Antonius ging daher zu dem noch in Asien weilenden
                Vespasian, wurde von ihm aber in einer Weise empfangen, daß er in
                kurzer Zeit um alles Ansehen gebracht war und sozusagen aus
                Verzweiflung starb.
                     Die Geschichte wimmelt von solchen Beispielen. Jeder Zeitgenosse
                weiß, mit welcher Geschicklichkeit und Tapferkeit in unsern Tagen

                Gonsalvo Ferrante, der Feldherr König Ferdinands von Aragonien, gegen
                die Franzosen focht, sie besiegte und das Königreich eroberte. Sein Lohn
                bestand darin, daß Ferdinand von Aragonien, als er nach Neapel
                zurückkehrte, ihm zuerst den Oberbefehl über die Truppen, dann über
                die Festungen entzog und ihn dann nach Spanien mitnahm, wo er bald
                darauf ruhmlos starb. König Ferdinand der Katholische von Spanien
                hatte 1500 mit Frankreich den Vertrag von Granada abgeschlossen,

                wonach beide Mächte sich in das Königreich Neapel teilen sollten. Nach
                der Eroberung Neapels durch das spanisch-französische Heer entstanden
                Streitigkeiten über den Raub, die 1503 zum Kriege zwischen beiden
                Mächten und zur Niederlage der Franzosen führten (s. Lebenslauf, 1503
                und 1505). Der Führer der spanischen Truppen war Gonsalvo de
                Cordova. Ferdinand kam 1507 nach Neapel, weil er Verdacht auf ihn

                geschöpft hatte, und kehrte mit ihm nach Spanien zurück, wo er ihn mit
                Ehren überhäufte, aber jedes Einflusses beraubte Dies Mißtrauen der
                Fürsten ist also so natürlich, daß sie sich seiner nicht erwehren und sich
                unmöglich dankbar gegen die Feldherren erweisen können, die durch
                Siege unter ihren Fahnen große Eroberungen gemacht haben. Erwehrt
                sich aber ein Fürst seiner nicht, so ist es kein Wunder und nichts
                besonders Auffallendes, wenn sich ein Volk seiner nicht erwehrt.

                     Ein Freistaat hat zwei Zwecke, erstens, zu erobern und zweitens,
                seine Freiheit zu behaupten, und in beiden wird er durch zu große
                Leidenschaft Fehler begehen. Über die Fehler beim Erobern wird noch
                gesprochen werden. In Buch III an zahlreichen Stellen. Fehler bei der





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