Page 764 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Behauptung seiner Freiheit sind unter anderm: die Bürger zu kränken,
die er belohnen sollte, und denen zu mißtrauen, denen er Vertrauen
schenken sollte. In einer schon verderbten Republik wird dies Verfahren
große Übel herbeiführen, und sie wird dadurch häufig früher einem
Tyrannen verfallen. So geschah es in Rom, als sich Cäsar das mit Gewalt
nahm, was ihm der Undank verweigerte. Aber in einer noch
unverderbten Republik ist es sehr heilsam und gibt der Freiheit längere
Dauer, denn die Furcht vor Strafe macht die Menschen besser und
weniger ehrgeizig.
Von allen Völkern, die eine ausgebreitete Herrschaft besessen, war
das römische jedenfalls am wenigsten undankbar. Man kann sagen, daß
sich kein andres Beispiel seiner Undankbarkeit findet als gegen Scipio.
Denn Camillus und Coriolan Coriolan wurde 491 v. Chr. verbannt (s.
Kap. 7 und Livius II, 34 ff.), Camillus 391 v. Chr. S. Livius V, 32, und
Buch III, Kap. 23 dieses Werkes. wurden wegen der Unbill verbannt, die
beide den Plebejern angetan hatten. Dem Coriolan wurde nur deshalb
nicht verziehen, weil er gegen das Volk stets feindlich gesinnt blieb;
Camillus wurde nicht nur zurückgerufen, sondern zeitlebens wie ein
Fürst geehrt. Livius VI, 1 ff. Die Undankbarkeit gegen Scipio aber kam
daher, daß die Bürger einen Argwohn gegen ihn zu fassen begannen, den
sie gegen andre nicht gehegt hatten. Dieser Argwohn erklärt sich aus der
Größe des Feindes, den Scipio überwunden hatte, und aus dem Ruhm,
den ihm die siegreiche Beendigung eines so langen und gefahrvollen
Krieges und die Schnelligkeit des Sieges verschafft hatte, schließlich
auch aus der Gunst, die ihm seine Jugend, seine Klugheit und seine
andern denkwürdigen Tugenden erwarben. Dies alles fiel so ins Gewicht,
daß nicht nur die Bürger, sondern auch die Behörden Roms sein Ansehen
fürchteten, was einsichtsvollen Männern als etwas in Rom ganz
Ungewöhnliches mißfiel. So außerordentlich erschien sein Betragen, daß
der ältere Cato, der für einen Heiligen galt, als erster gegen ihn auftrat
und sagte, eine Stadt könne sich nicht frei nennen, wenn einer ihrer
Bürger von den Behörden gefürchtet würde. Folgte also das römische
Volk in diesem Falle der Meinung Catos, so verdient es die oben
erwähnte Entschuldigung aller Völker und Fürsten, die aus Mißtrauen
undankbar sind.
Ich komme also zum Schluß und sage: wenn das Laster der
Undankbarkeit entweder aus Geiz oder aus Argwohn entspringt, so
werden die Völker aus Geiz nie undankbar sein und aus Argwohn viel
seltner als die Fürsten, weil sie weniger Anlaß dazu haben, wie unten
gezeigt werden soll.
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