Page 831 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunundfünfzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Ob man sich mehr auf Bündnisse oder Verträge mit einer Republik
                                      oder einem Fürsten verlassen kann.


                Da es täglich vorkommt, daß Fürsten und Republiken miteinander
                Bündnisse und Freundschaft schließen, so scheint es mir der
                Untersuchung wert, wessen Treue beständiger ist und auf welche man
                mehr zählen kann, auf die einer Republik oder eines Fürsten. Alles wohl

                erwogen, scheinen sie mir in vielen Fällen gleich und in andern
                verschieden zu sein. Ich glaube, erzwungene Verträge wird weder ein
                Fürst noch eine Republik halten, und wenn sie die Furcht um den Verlust
                des Staates befällt, werden beide ihr Wort brechen und undankbar sein.
                Demetrios, der Städteeroberer, Demetrios Poliorketes befreite 307 v. Chr.

                Athen. Er war 294-87 König von Mazedonien und starb 283 in Syrien.
                hatte den Athenern zahllose Wohltaten erwiesen; als er dann von seinen
                Feinden geschlagen war, nahm er seine Zuflucht zu Athen als einer
                befreundeten Stadt, die ihm viel Dank schuldete. Aber die Athener
                nahmen ihn nicht auf, und das schmerzte ihn weit mehr als der Verlust
                der Schlacht und seines Heeres. Als Pompejus in Thessalien von Cäsar
                geschlagen war, flüchtete er nach Ägypten zu Ptolomäus, den er einst in

                sein Reich eingesetzt hatte, und wurde von ihm ermordet. Wie man sieht,
                war in beiden Fällen die Ursache gleich, doch war das Benehmen der
                Republik menschlicher und weniger schimpflich als das des Fürsten.
                     Wo also Furcht herrscht, wird man tatsächlich die gleiche Treue
                finden, und wo man eine Republik oder einen Fürsten findet, der sich,
                um die Treue zu halten, seinem Untergang aussetzt, kann dies gleichfalls

                ähnliche Beweggründe haben. Denn ein Fürst kann sehr wohl mit einem
                mächtigen Fürsten im Bunde stehen, der ihn zwar im Augenblick nicht
                zu schützen vermag, von dem er aber hoffen darf, daß er ihn mit der Zeit
                wieder in sein Fürstentum einsetzen wird. Oder er glaubt auch, da er
                immer auf seiner Seite gestanden hat, bei seinem Feinde weder Vertrauen
                noch Geneigtheit zum Frieden zu finden.
                     So ging es den Königen von Neapel, die die Partei der Franzosen

                ergriffen hatten. Das Beispiel ist nicht klar. Von den letzten zwei
                aragonischen Königen von Neapel, Ferdinand II. (1495-96) und





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