Page 9 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Ungerechten gleich (c. 20 u. 21); bezüglich der Stärke aber werde
                zugegeben, daß Ungerechtigkeit Kampf und Zwietracht, auch in
                einzelnen Menschen, und selbst gegen die Götter herbeiführe, daher auch

                eine ungerechte Unternehmung Mehrerer doch eines Grades von
                Gerechtigkeit bedürfe, die volle höchste Ungerechtigkeit aber nur
                Selbstentzweiung zur Folge habe (c. 22 u. 23); ferner habe, so wie Alles,
                so auch die Seele ihre eigentümliche Vortrefflichkeit, ohne die sie ihre
                eigenthümliche That nicht verrichten könne, eine Vortrefflichkeit aber sei
                die Gerechtigkeit, und es lebe daher die gerechte Seele glücklicher und
                vorteilhafter (c. 24).

                     Von diesem erreichten Schlußpunkte der Einleitung aus schreitet nun
                die Untersuchung mehr in der Form einer allmäligen Beweisführung
                folgendermaßen fort:
                     Die Gerechtigkeit gehört zu den Gütern überhaupt, und zwar, da es
                drei Arten der Güter gibt, nemlich erstens was nur an sich und ohne
                Rücksicht auf die Folgen gut ist, zweitens was an sich und in seinen

                Folgen gut ist, drittens was an sich lästig und nur in den Folgen gut ist,
                gehört sie zur vorzüglichsten, d. h. der zweiten dieser Arten ( zweites
                Buch, c. 1). Nach den gewöhnlichen Annahmen hingegen zählt man sie
                zur dritten, indem man meint, sie sei aus einem Vertrage zum Schutze
                gegen den Ungerechtigkeits-Trieb der Menschen entstanden (c. 2), daher
                auch Niemand sie freiwillig übe, sondern nur aus Furcht, entdeckt zu
                werden, und bei Wegnahme dieser Furcht Jeder ungerecht sei (c. 3), so

                wie ferner der Ungerechte, welcher mit dem Scheine der Gerechtigkeit
                sich umgebe, alle Mittel zur Ausführung seines Willens besitze und so
                als glücklich gelte, während der Gerechte, der den Schein verschmäht,
                verkannt und gepeinigt werde (c. 4 u. 5) Auch wird diese Ansicht durch
                die gewöhnliche Art der Erziehung und selbst durch die religiöse Sage
                gefördert, da man dem Gerechten Belohnung und dem Ungerechten

                Bestrafung verheißt (c. 6), und auch von der Schwierigkeit der
                Gerechtigkeit und von Zaubermitteln einer Erlösung spricht (c. 7);
                hiedurch aber werden die jungen Leute zur Falschheit und Hinterlist
                erzogen und ziehen es vor, durch Ungerechtigkeit Schätze zu erwerben,
                durch welche auch die Gunst der Götter erkauft werden könne, und wer
                die Macht dazu hat, ist lieber ungerecht, als daß er sich verlachen läßt (c.
                8 u. Anf. v. c. 9). Darum muß zunächst auf den Werth der Gerechtigkeit

                an und für sich, auch abgesehen von ihren Folgen, zurückgegangen
                werden (c. 9).
                     Da aber dieß sehr schwierig ist, muß man davon ausgehen, wo bei
                größerem Maßstabe die Sache deutlicher als im Einzeln-Individuum ist,





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