Page 171 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten "Wortbedeutungen beim Kinde. 159
haben: eine motorisch-kinästhetische , eine acustisch-optische , eine
die sich auf den unmittelbaren Er^'erb der Sprache
ideomotorische ,
selbst beziehen — und eine allgemeine geistig-körperliche Entwick-
lung, die nur mittelbar für den normalen Erwerb der Sprache in
Betracht kommt. Die erste schHeßt in sich ein, dass eine gewisse
Beherrschung der Sprachmuskulatur und eine Controle der Sprach-
bewegungen durch die kinästhetischen Empfindungen eingetreten und
in solchem Maße gesteigert worden ist, dass dem Kinde die Aus-
lösung jener ersten eigenthümlichen Lallworte oder Nachahmungsworte
gelingt, mit denen die Kindersprache zu beginnen pflegt. Die zweite
Bedingung schHeßt eine Differenzirung der Gehörswahmehmungen
ein, welche ausreicht, damit das Kind die eigenen Laute mit den
Ohren conti'olirt und die lautlichen Aeußerungen der sprechenden
Personen seiner Umgebung einigermaßen richtig hört. Die optische
Entwicklung, die unmittelbar für die Sprache in Betracht kommt,
verlangt, dass das Kind Gesichtswahmehmungen, insbesondere die
sichtbaren Sprachbewegungen, aber auch die Gebärden der erwach-
senen Personen richtig erfasst*). Etwas schwieriger ist die ideo-
motorische Seite der sprachlichen Entwicklung zu beschreiben.
Zu dieser gehört in der Hauptsache, dass das Kind Laute, die
bisher (in der Periode des spontanen Lallens), nur zufäUig oder
factisch, d. h. dem Erfolge nach gelangen, willkürHch hervorbringen
kann. Eine nähere Analyse dieses Processes gehört nicht hierher.
(Ich verweise hierfür auf meine größere Schrift über die Kinder-
sprache.]
Mindestens ebenso wichtig wie diese Seite der kindlichen Ent-
wicklung, die wir als eine unmittelbare und specielle Vorbereitung
des Sprechens auffassen können, ist seine allgemeine geistig-
körperliche Entwicklung (Entwickeltheit) gegen das Ende des ersten
Lebensjahres. Wenn die Sprachentwicklung normal verlaufen soll,
so setzt sie voraus, dass die allgemeine geistig-körperliche Entwick-
lung in keinem Punkte einen Defect oder eine Verspätung zeigt.
Die Aufmerksamkeit des Kindes, seine Concentrationsfähigkeit, sein
1; Blinde Kinder lernen später sprechen. Vielleicht verräth sich auch der
Einfluss des Sehens auf die kindliche Sprache in dem anfänglichen Dominiren der
Lippenlaute (andere Ursachen dafür gibt Bzesnizek an).