Page 61 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung. 49
erschien eine Schrift von L. Weber unter dem Titel >Ueber das
Galilei 'sehe Princip«^). Der auf dem Boden der physikalischen
Forschung stehende Verfasser geht auf die das Beharrungsgesetz
betreffenden Arbeiten der meisten früheren Autoren, so auch auf die
meinigen, nicht näher ein; ich habe daher nicht nöthig, das Inertial-
system gegen Einwände von seiner Seite zu vertheidigen. Dagegen
erwächst mir die Aufgabe, die Weber' sehen Vorschläge zu einer
besseren Formulirung des Beharrungssatzes meinerseits einer Prüfung
zu unterziehen.
Weber schließt seine Erörterungen ab mit einer Definition des
Begriffes »universell-geradlinig-gleichförmige Bewegung« und mit dem
die Stelle des Beharrungsgesetzes vertretenden Theorem: »Wenn auf
einen materiellen Punkt keine Kräfte einwirken, besitzt er eine uni-
versell-geradlinig-gleichförmige Bewegung. Und umgekehrt« ^^).
Statt nun Weber' s Definition im Wortlaute zu citiren, ziehen wir
es vor, vollkommen sinngetreu und dabei möglichst deutlich anzu-
geben, nach welchem Kriterium Weber unterscheidet, ob ein ihm
gegebener Punkt universell -geradlinig-gleichförmig bewegt sei, oder
nicht. Zu diesem Zwecke verbindet nämhch Weber mit dem frag-
hchen Punkte ein Coordinatensystem , dessen Axenrichtungen er in
jedem Augenblicke so gelegt denkt, dass die darauf bezogene 2(^mv^)
des Weltalls ein Minimum wird. Er untersucht sodann, ob der
Massenmittelpunkt der Welt rücksichtlich des durch die Minimums-
gleichung definirten Systems geradlinig-gleichförmig bewegt sei. Trifft
dies zu, so bezeichnet Weber den der Untersuchung unterworfenen
gegebenen Punkt selbst als »universell-geradHnig-gleichförmig bewegt«
wo nicht, spricht er ihm die »universell-geradlinig-gleichförmige Be-
wegung« ab.
Man könnte vielleicht fragen, warum Weber nicht einfach gesagt
habe: »Wir beziehen in der Dynamik alle Bewegungen, also auch
die im Beharrungsgesetze ausgesprochenen, auf dasjenige Raumsystem,
auf welches bezogen die 3 (| mv^) des Universums jederzeit ein Minimum
ist«. Weber muss jedenfalls Gründe gehabt haben, diese Formulirung
zu vermeiden. In der That, hätte er das Bezugssystem der Dynamik
solchergestalt definirt, so ließe sich nachweisen, dass seine Absicht,
an Stelle des Newton' sehen absoluten Raumes damit ein geometrisch
äquivalentes System von minder mysteriösem Charakter einzusetzen.
Wandt, PhUoB. Stadien. XX. 4