Page 202 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Geheimrezept aus dem
BACKOFEN
Dass ein Heuriger sich mit Lebensmitteln aus der eigenen
Landwirtschaft versorgt, wäre ja nichts Außergewöhnliches. Dass
sogar Spezialgebäck entwickelt wird, aus dem die Brösel für die
Schnitzelpanier gemacht werden, allerdings schon.
Wenn man den Heurigen von Familie Reiß betritt, dann steigt’s einem gleich einmal
unvergleichlich fein in die Nase: der warme, würzige Duft von frisch gebackenem Brot.
„Das war so eine plötzliche Idee von mir“, schmunzelt Vater Siegbert dazu. Er hat den neuen
Backofen nämlich an einem besonderen Platz aufgestellt: mitten in der Gaststube. Der Herd als Seele
des Hauses sozusagen. Die Spezialverkleidung dafür hat er selbst gezimmert. Wie übrigens auch die
ganze Einrichtung des Lokals. „Wenn’s sein muss, bin ich halt auch der Haustischler.“
In aller Früh war der Siegbert heute schon am Werken und hat das Brot „eing’schossen“. Und jetzt
sind sie fertig, die knusprigen, kleinen Spezialweckerln, die dicht an dicht auf dem Blech liegen und
fürs Erste einmal auskühlen dürfen.
Vater und Sohn Reiß betreiben hier im Grazer Umland nahe dem Hausberg Schöckel eine
Landwirtschaft und einen sehr speziellen Heurigen. Die Produkte dafür werden mit wenigen
Ausnahmen gänzlich im eigenen Betrieb hergestellt. Gleich nebenan im lang gestreckten
Wirtschaftstrakt findet sich alles, was die beiden dafür brauchen: die Selch und die Fleischhauerei, in
der Speck, Blunzen oder Breinwurst hergestellt werden; die Produktionsstätte für Saft, Most und
Schnaps mitsamt dem alten, gemauerten Brennofen; ein eigener Schlachtraum, in dem die Tiere
möglichst stressfrei geschlachtet werden; die Backstube, wo der richtig große Ofen steht; und ganz
hinten im Stadel, da ist der Platz der Mühle, in der das eigene Getreide je nach Bedarf frisch
vermahlen wird.
Siegbert Reiß ist in vierter Generation auch der Bäcker in der Familie. Herzhaftes Bauernbrot wird
von ihm das ganze Jahr über zubereitet, die Buchteln stammen ebenfalls vom Senior. (Wenn nicht der
Fleischhauer des Ortes mithilft, der dafür „ein unglaubliches G’spür“ hat, wie der Sohn erzählt, –
aber das nur der Vollständigkeit halber.) Vor Weihnachten gibt es hausgemachtes Kletzenbrot und zu
Ostern traditionelle Pinzen.