Page 26 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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bekanntlich gegen Zauberglauben nicht viel hilft, musste eine Heilige eingreifen, die im Gebiet der
  heutigen Schweiz wirkte: Verena. Sie besiegte den Teufel, der mit einem Mühlstein nach ihr warf, sie
  aber nicht treffen konnte. Dann setzte sie den Stein aufs Wasser und nutzte ihn als Boot, wodurch sie
  auch noch zur Patronin der Schiffsleute wurde.




             DER TOTE MÜLLER HAT SIE NICHT VERZAUBERN

                                                     KÖNNEN


                                Marlen Haushofer, „Himmel, der nirgendwo endet“


     Die  alte  Mühle  steht  am  Bach.  Den  Kopf  an  Vaters  Beine  gelehnt,  steht  Meta  in  der  grünen
     Dämmerung, weit fort von Sonnenschein und Vogelliedern. Der Mann mit der weißen Schürze ist
     der Müller. Sein Gesicht ist flach und weißlich vom Mehlstaub. Aber vielleicht ist es gar kein
     Mehlstaub. Er redet mit leiser Stimme und hüstelt dazwischen. Meta fürchtet sich vor der Mühle
     und  der  Kälte,  die  vom  Bach  heraufkriecht.  Der  Müller  sieht  aus,  als  wäre  er  schon  lange
     gestorben. Der einzige Trost in dieser kalten Wasserwelt ist Vaters warme Hand. Sie fühlt sich an
     wie Holz, wie sonnengetränktes Holz. Solange sie diese Hand nicht loslässt, kann der Müller sie

     nicht verzaubern und ihr nichts Böses tun. Sie muss sich bemühen, freundlich an den Müller zu
     denken.  Aber  wird  er  sich  täuschen  lassen?  Liest  er  nicht  unter  den  falschen  freundlichen
     Gedanken, dass sie alles über ihn weiß? Jetzt tut er etwas Schreckliches mit seinem Mund. Sie
     mag gar nicht hinschauen, bestimmt hat er grüne Zähne. Dann streckt er die mehlige Hand aus
     und legt sie auf Metas Kopf. Kälte sickert in ihr Haar und rieselt den Rücken entlang. Krampfhaft
     umklammert sie Vaters Hand. Der lacht und redet, als merkte er gar nichts. Aber Vater ist schlau;
     er wiegt den Müller in Sicherheit, bestimmt hat er gleich durchschaut, mit wem er es zu tun hat.
        Mindestens ein Jahr dauert es, ehe sie loskommen und wieder auf der Straße stehen und die
     Sonne die Kälte von Metas Kopf wischt. Meta möchte schreien vor Freude, sie leben, sie leben,
     der tote Müller hat sie nicht verzaubern können, weil Vater so gescheit ist und weil seine Hände
     so warm sind.




     Bei der Verbreitung der Wassermühlen zeigen sich regionale Unterschiede. Wo Klöster gegründet
  wurden  wie  zum  Beispiel  in  Salzburg,  gehörten  Mühle  und  Backofen  zur  Grundausstattung.  Im
  heutigen Stadtgebiet von München entstand die erste Mühle 957, also lange vor der Gründung der
  Stadt. In Kärnten sind Mühlen seit 822 belegt, sie gehörten zum Hof und waren einfach konstruiert:
  Das Mühlrad lag horizontal im Wasser und bewirkte nur eine sehr langsame Drehung des Mühlsteins.
  Im  Freilichtmuseum  Maria  Saal  ist  noch  eine  der  für  Nordkärnten  typischen  „Flodermühlen“  zu
  sehen. Im Weinviertel wurde noch bis ins 11. Jahrhundert hinein mit der Handmühle gemahlen, Hirse

  und Buchweizen zerstampfte man in steinernen Mörsern.
     Erst im 11., 12. und 13. Jahrhundert entdeckte das Abendland, was Mühlen leisten können und wie
  vielseitig sie einsetzbar sind: Mahlen, Hämmern, Sägen, Stampfen ... Man nutzte auch den Wind als
  Energiequelle,  die  größere  Bedeutung  aber  kam  nach  wie  vor  dem  Wasser  zu:  Es  bewegte  den
  Mühlstein und lieferte auch die Energie zum Antrieb von Schiffsmühlen.
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