Page 172 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 172
166 Kapitel 5 • Grundlagen des EU-Rechts
(„Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist“) und
nach Absatz 2 Steuerregelungen, die Freizügigkeit (Recht,
sich überall in der EU aufzuhalten und niederzulassen) sowie
2 die Rechte der Arbeitnehmer. Hauptanwendungsbereich des
Art. 114 AEUV ist der freie Warenverkehr. Art. 114 AEUV
ist lex specialis, also speziellere Norm zu Art. 352 AEUV und
weitgehend auch zu Art. 192 AEUV. Ein Rechtsakt muss sich
auf eine bestimmte Rechtsgrundlage stützen. Ist eine Regelung
der Rechtsangleichung des Binnenmarktes betroffen, so darf
der Rat den Rechtsakt nicht auf Art. 352 AEUV stützen. Zu
5 den Grundsätzen über die Wahl der richtigen Rechtsgrund-
lage gibt es einige EuGH-Entscheidungen: APS, Slg. 1987,
1493; Zollnomenklaturabkommen, Slg. 1988, 5545; Tabak-
werberichtlinie, Slg. 2000 I-8419 ff. Entscheidend ist immer,
in welcher Materie der Schwerpunkt der zu regelnden Maß-
nahme zu finden ist. Wenn dieser bei Art. 114 AEUV liegt, ist
die Vorschrift immer einschlägig, auch wenn der Rechtsakt
irrigerweise noch auf eine andere Norm gestützt wurde (BAT,
Slg. 2002, I-11453).
Anders als bei Art. 115 AEUV kann der Ministerrat nicht
nur in Form einer Richtlinie, sondern darüber hinaus auch mit
anderen Rechtsaktformen wie der Verordnung Rechtsverein-
heitlichung betreiben, wobei Art. 296 I AEUV zu beachten ist.
Die Harmonisierungsmaßnahmen müssen verhältnismäßig im
2 Sinne von Art. 5 IV EUV sein (BAT, Slg. 2002, I-11453). Es
kann grundsätzlich zwischen einer Vollharmonisierung und
Voll- oder Teilharmonisierung einer Teilharmonisierung unterschieden werden. Im ersteren
2 Fall sind jegliche nationalen Regelungen, die von der unions-
rechtlichen Vorgabe abweichen, untersagt, im letzteren nicht.
2 Harmonisierungsmaßnahmen dürfen nur erlassen werden,
wenn die nationalen Unterschiede geeignet sind die Grund-
freiheiten einzuschränken und sich mithin unmittelbar auf das
2 Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Das bloße Beste-
hen nationaler Regelungsunterschiede reicht nicht aus. Nach
2 neuerer Rechtsprechung kann die EU bereits vorbeugend tätig
werden, um der Entwicklung neuer Hindernisse für den Han-
2 del infolge heterogener nationaler Vorschriften zu verhindern
(Tabak, Slg. 2007, I-11644). Aufgrund Art. 114 AEUV kann
die EU sogar neue Agenturen schaffen, wenn dies notwendig
2 ist (ENISA, Slg. 2006, I-3810).
Das Harmonisierungsrecht der EU lässt den Mitgliedstaa-
2 ten allerdings Ausnahmemöglichkeiten, und zwar gemäß den
Absätzen 4 (Escape-Klausel) und 5 von Art. 114 AEUV. Um-
stritten ist, ob Ausnahmemitglieder nach der Harmonisierung
2 neue innerstaatliche Vorschriften erlassen dürfen oder ob sie
nur mit den vor der EU-Regelung bestehenden weiterarbeiten
dürfen. Die Kommission oder ein Mitgliedstaat können den