Page 181 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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6.2 • Die Unionsbürgerschaft
Art. 21 AEUV – Bürgerfreizügigkeit
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den
Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und
Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Erscheint zur Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der
Union erforderlich und sehen die Verträge hierfür keine Befug-
nisse vor, so können das Europäische Parlament und der Rat
gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften
erlassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1
erleichtert wird. […]
Art. 21 AEUV ist die zentrale Rechtsgrundlage für den Erlass Fortbewegungs- und Aufent-
von Regelungen über die Freizügigkeit. Die im primären und haltsfreiheit
sekundären Unionsrecht gewährleisteten besonderen Freizü-
gigkeitsrechte gehen der Bestimmung des Art. 21 AEUV als
lex specialis vor (Calfa, Slg. 1999, I-11).
Art. 21 AEUV enthält das Recht, sich im Hoheitsgebiet
eines MS frei zu bewegen und aufzuhalten. Dies gilt nicht für
den eigenen MS des Unionsbürgers bei rein innerstaatlichen
Sachverhalten (Inländerdiskriminierung). Die Norm ist un-
mittelbar anwendbar (Baumbast, Slg. 2002, I-7091).
Die Vorschrift ist wichtig für die Freizügigkeit von Stu- Freizügigkeit von Studenten
denten, da diese sich in der Regel mangels wirtschaftlicher
Betätigung nicht auf Art. 45, 56 AEUV berufen können
(▶ Abschn. 6.2). Gemäß der Rechtsprechung ist Art. 21 AEUV
grundsätzlich anwendbar, wenn ein Unionsbürger in einem
anderen MS eine weiterführende Schule besucht (Bidar,
Slg. 2005, I-2119) oder ein Universitätsstudium aufnehmen
möchte (Universitätsstudium, Slg. 2005, I-6014). Der BaföG-
Anspruch eines deutschen bei einem Studium im EU-Ausland
folgt daraus ebenfalls (Morgan, Slg. 2007, I-9205). Bei einem
Verstoß hiergegen ist jeweils auch das Diskriminierungsverbot
des Art. 18 AEUV verletzt.
Weitere Relevanz erlangte die Norm im Bereich des Sozi- EU-Widrigkeit des deutschen
alrechts, insbesondere da der EuGH eine Konnexität zwischen Namensrechts
Art. 21 AEUV und der betreffenden Sachmaterie ablehnt. Der
Gerichtshof stellt fest, dass auch auf Gebieten, auf denen der
EU keine Regelungskompetenz zukomme, die MS ihre Befug-
nisse nur unter Beachtung des Unionsrechts ausüben können.
Dies wurde dann auch auf das dt. Namensrecht übertragen
(Grunkin, Slg. 2008, I-7639 Rn. 16). In der Rechtssache verstieß
Art. 10 EGBGB gegen Art. 21 AEUV.
Art. 22 AEUV vollbringt das, was innerstaatlich in der Wahlrecht
Bundesrepublik nicht durchzusetzen war: das aktive und pas- Aktives und passives Wahlrecht
sive Wahlrecht für EU-Ausländer auf kommunaler Ebene, also