Page 184 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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178  Kapitel 6  •  Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU


          Grundfreiheiten sind unmit-  Die Grundfreiheiten des AEUV sind Wirtschaftsfreiheiten,
          telbar anwendbar.       demzufolge ist die häufig gehörte Qualifizierung der Unions-
                                  bürgerschaft als „fünfte Grundfreiheit“ ein wenig irreführend.
   2                              -   der freie Warenverkehr,
                                  Zu ihnen gehören:
                                  -
                                  -
                                      die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit,
                                  -
                                      die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs,
                                      die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs.
                                  Sie sind unmittelbar anwendbar und verleihen dem einzelnen
                                  Bürger subjektive Rechte, welche er vor Gericht durchsetzen
                                  kann. Subjektive Rechte sind Rechte, die einer Person direkt
   6                              zustehen und die sie gerichtlich geltend machen kann, s. § 42 II
                                  VwGO. Einschlägiges Sekundärrecht genießt als lex specialis
                                  Vorrang vor den Grundfreiheiten, diese sind mithin nicht an-
                                  wendbar, wenn z. B. eine Verordnung den Tatbestand bereits
                                  regelt.
          Zur Wiederholung: Grundfrei-  Grundfreiheiten sind von den Grundrechten zu unter-
          heiten sind keine Grundrechte.  scheiden. Beide gewähren subjektive Rechte, ihnen wohnt je-
                                  doch eine andere Zielrichtung inne. Die Grundfreiheiten sol-
                                  len eine Freizügigkeit von Wirtschaftsfaktoren innerhalb der
                                  EU gewährleisten, während die Grundrechte als Abwehrrechte
                                  des Einzelnen gegenüber der EU konzipiert sind. Als solche
                                  können sie die Grundfreiheiten im Sinne einer praktischen
   2                              Konkordanz als Schranken-Schranken begrenzen (Schmidber-
                                  ger, Slg. 2003, I-5659). Somit begrenzen im Umkehrschluss
                                  auch die Grundfreiheiten die Grundrechte; welches Recht vor-
   2                              rangig ist, ist in einem Abwägungsprozess nach den konkreten
                                  Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
   2      Innerstaatliche Sachverhalte   Die Grundfreiheiten gelten nicht für Sachverhalte, die
          werden vom Anwendungsbe-  rein innerstaatlicher Natur sind. Es ist immer ein grenzüber-
   2      reich nicht erfasst.    schreitendes Element erforderlich. Abgrenzungen sind häu-
                                  fig schwierig, der Gerichtshof ist großzügig und tendiert zur
                                  Annahme eines grenzüberschreitenden Elements, wenn die
   2                              Gefahr besteht, dass sich eine innerstaatliche Regelung zum
                                  Nachteil von Staatsangehörigen anderer MS auswirken könne
   2                              (Sass, Slg. 2000, I-151). Reine Inlandssachverhalte sind nur
                                  nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen. Die Inländerdis-
                                  kriminierung wird von den Grundfreiheiten nicht erfasst. Übt
   2                              ein Ausländer in einem Land einen Beruf aus und ein Inländer
                                  mit gleichem Beruf fühlt sich ihm gegenüber benachteiligt, so
   2                              sind die Grundfreiheiten für den Inländer nicht anwendbar.
                                  Der Inländer kann sich dann nur auf sein nationales Recht be-
                                  rufen. Sie begleiten nur Waren, Personen und Dienstleistungen
   2                              beim und nach dem Grenzübertritt und sind nur anwendbar,
                                  wenn nationale Regeln den Wirtschaftsverkehr innerhalb der
                                  Gemeinschaft behindern.
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