Page 189 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          6.4  •  Der freie Warenverkehr


          staaten in andere Mitgliedstaaten ist Art. 35 AEUV. Beide
          Vorschriften sind unmittelbar anwendbar (Iannelli/Meroni,
          Slg. 1977, 576). In Art. 34 AEUV nicht ausdrücklich genannt,
          wegen der Nennung in der Rechtfertigungsvorschrift des
          Art. 36 AEUV jedoch auch umfasst, ist die Durchfuhr von
          Waren (Schmidberger, Slg. 2003, I-5659).
            Den Begriff „mengenmäßige Beschränkungen“ hat der   Mengenmäßige Beschränkung
          EuGH folgendermaßen definiert: „… sämtliche Maßnahmen,
          die sich als eine gänzliche oder teilweise Untersagung der
          Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen.“ (Geddo/Ente
          Nazionale, Slg. 1973, 865). Hiermit sind mengen- oder wert-
          mäßige Kontingente gemeint, die die einzelnen Mitgliedstaa-
          ten auf die Einfuhr von Waren erhoben. Solche Kontingente
          sind inzwischen vollkommen abgeschafft worden, so dass der
          Verbotsvorschrift insoweit keine praktische Bedeutung mehr
          zukommt. Daher beziehen sich die vor dem EuGH zu entschei-
          denden Streitfälle hauptsächlich auf die Fälle der Maßnahmen
          gleicher Wirkung (nicht zu verwechseln mit den „Abgaben
          gleicher Wirkung“ des Art. 28 AEUV).
            „Maßnahmen gleicher Wirkung“ ist ein unbestimmter   Maßnahmen gleicher Wirkung
          Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig  ist.  Der  EuGH hat
          seine Auslegung, die nach Art. 19 I 2 EUV verbindlich für das
          EU-Recht ist, im Fall Dassonville, Slg. 1974, 837, grundlegend
          entschieden.
            Streitgegenstand im Urteil Dassonville-Fall war, dass in
          Frankreich frei im Verkehr befindlicher (Art. 29 I AEUV) bri-
          tischer Whisky nach einer belgischen staatlichen Vorschrift
          nur dann nach Belgien eingeführt werden durfte, wenn die
          Ursprungsbezeichnung der Ware (Großbritannien, war damals
          noch nicht Mitglied der EU) durch eine amtliche Urkunde des
          Exportlandes bestätigt war. Die Beschaffung einer solchen Be-
          scheinigung war für Händler, die direkt aus Großbritannien
          importierten, wesentlich leichter. Darin sah der EuGH eine
          Maßnahme gleicher Wirkung.
            Nach der Definition des EuGH ist „jede Handelsregelung   Dassonville-Formel
          der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftli-
          chen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder po-
          tentiell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie
          eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen.“
            Eine Handelsregelung ist jeder Rechtsakt oder Maßnahme   Handelsregelung
          eines Mitgliedstaates (Buy Irish, Slg. 1982, 4005), Handlungen   Staatliche Unterlassungen
          von Privatpersonen werden nicht erfasst. Allerdings ist jeder
          Mitgliedstaat verpflichtet, die auf seinem Territorium statt-
          findenden Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit durch
          Privatpersonen zu unterbinden (Agrarblockaden, Slg. 1997,
          I-6959; Schmidberger, Slg. 2003, I-5659), staatliche Unterlas-
          sungen können also auch unter den Begriff der Handelsrege-
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