Page 194 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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188  Kapitel 6  •  Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU


                                  der Vorschrift genannten Merkmale der „Willkür“ (= Maß-
                                  nahmen, die nicht gleichermaßen gegen in- und ausländische
                                  Waren angewandt werden) und „verschleierten Beschränkun-
   2                              gen des Handels“ sind nur Beispielsfälle für eine nicht erfor-
                                  derliche staatliche Maßnahme, da sie niemals das mildeste
                                  staatliche Mittel darstellen. In diesen Fällen ist die Maßnahme
                                  also immer als unverhältnismäßig anzusehen.
                                     Beispiel: Der Import ausländischer erotischer Literatur darf
                                  nicht aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit untersagt werden,
                                  wenn gleichartige Literatur im Inland hergestellt und vom Gesetz
                                  unbeanstandet verkauft wird.
                                     Nun zu den tatbestandsimmanenten Einschränkun-
   6                              gen der Cassis-Rechtsprechung. Der EuGH hat hier die in
                                  Art. 36 S. 1 AEUV genannten Ausnahmen durch einige wei-
                                  tere ergänzt.
                                  -   Lauterkeit des Handelsverkehrs (Dansk Supermarked, Slg.
          Tatbestandsimmanente Ein-  Die tatbestandsimmanenten Einschränkungen sind vor
          schränkungen            allem:
                                  -   Verbraucherschutz vor Täuschungen (Pasta, Slg. 1988,
                                     1981, 181),
                                  -   Umweltschutz (Pfandflaschen, Slg. 1988, 4607),
                                     4233),
                                  -
                                      Aufrechterhaltung der Medienvielfalt (Familiapress, Slg.
                                     1997, I-3689),
   2                              -   Schutz der Jugend (vor Alkohol, C-170/04, Slg. 2007,
                                     I-4127; vor jugendgefährdenden Filmen, C-244/06, Slg.
                                     2008, I-549),
   2                              -   Schutz des Straßenverkehrs (C-110/05, Slg. 2009, I-519
                                     Rn. 60),
   2                              -   Schutz von Büchern als Kulturgut (C-351/07, Buchpreis-
                                     bindung, Slg. 2009, I-3717).
   2      Auch hier gilt der Verhältnis-  Auch für diese Ausnahmen gilt jedoch der Verhältnismäßig-
          mäßigkeitsgrundsatz.    keitsgrundsatz, da die nationalen Regelungen in der Sprache
   2                              des EuGH „erforderlich“ sein müssen. Erforderlich bedeutet
                                  hier nichts anderes als verhältnismäßig. Als Beispiel wiederum
   2                              das „Reinheitsgebot“. Der EuGH urteilte, dass das Reinheitsge-
                                  bot unverhältnismäßig sei. Der Verbraucherschutz sei zwar ein
                                  legitimes Ziel, jedoch ein komplettes Importverbot nicht das
   2                              mildeste Mittel. Vielmehr hätte der Verbraucherschutz auch
                                  durch Hinweise auf den Etiketten verwirklicht werden können.
   2      Grundrechte können Grund-  Ferner müssen die sich für die Betroffenen aufgrund der
          freiheiten einschränken  Geltung der Grundfreiheiten ergebenden Einschränkungen
                                  im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten
   2                              Grundrechten stehen. Das in Rede stehende Grundrecht muss
                                  gegen die Grundfreiheit abgewogen werden; welches Recht
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