Page 49 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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3.2 • Die EMRK
suchung einer Menschenrechtsverletzung durch einen EMRK-
Mitgliedstaat immer zu prüfen, an welche ZP der betreffende
Staat gebunden ist. Außerdem gibt es für die Staaten auch die
Möglichkeit eines Vorbehalts zur EMRK (Art. 57). Der Vorbe-
halt ist ein völkerrechtliches Rechtsinstitut. Legt ein Staat bei
der Unterzeichnung oder Ratifikation eines internationalen
Vertrags einen Vorbehalt ein, so ist er, von Ausnahmen abgese-
hen, an den Teil des Vertrages, für den der Vorbehalt eingelegt
wird, nicht gebunden (Art. 2 lit. d, 19 ff WVK; Lorenzmeier,
Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, Abschn. 2.2.2.3). Somit muss auch
das Vorhandensein von Vorbehalten geprüft werden, bevor
festgestellt werden kann, dass ein Staat an eine Norm gebunden
ist. Deutschland hat die EMRK unter dem Vorbehalt ratifiziert,
dass Art. 7 II EMRK nur in den Grenzen des Art. 103 II GG
angewendet wird.
Als völkerrechtlicher Vertrag sind zur Auslegung der Auslegung des EMRK
Konvention die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze, wie
sie in Art. 31 f. Wiener Übereinkommen über das Recht der
Verträge (WVK) niedergelegt sind (Wortlaut, Systematik und
Telos), heranzuziehen (EGMR, Golder, Ser. A no. 18, S. 14,
Rz. 29). Authentische Sprachen der Konvention sind Englisch
und Französisch. Im Rahmen der teleologischen Auslegung
ist zum einen zu beachten, dass der EGMR auf den jeweils
aktuellen Sinn der Vorschrift abstellt, der mit dem Sinn des
Jahres 1953 nicht identisch sein muss (sog. dynamische Aus-
legung oder auch living instrument-Lehre, EGMR, Selmouni,
1999-V, 149 ff, Rz. 101). Zum anderen wendet er auch den
Grundsatz der größtmöglichen Effektivität (effet utile) des
Konventionsrechts an (s. EGMR, Loizidou, Serie A, 1995,
Rz. 72). Wichtig ist: Die in der EMRK enthaltenen Begriffe
sind autonom (eigenständig) zu bestimmen, gleichlautenden
Begriffen des nationalen Rechts muss nicht die gleiche Bedeu-
tung zukommen.
Den gestiegenen Stellenwert der EMRK erkennt man gut
an der deutlich zunehmenden Zahl an Veröffentlichungen zu
- Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009,
diesem Thema. Zu erwähnen sind insbesondere
-
- Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskon-
vention, 6. Aufl. 2016,
-
Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Aufl. 2015,
- Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK-Hand-
kommentar, 4. Aufl. 2016 und
Peters/Altwicker, Einführung in die Europäische Men-
schenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012.
Umstritten und fraglich war lange Zeit, ob die EMRK auch ge- Verhältnis EMRK – EU/EG
genüber Rechtsakten der Unionsorgane oder auf Unionsrecht