Page 73 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          3.2  •  Die EMRK


          2002, 131; der ehemalige jugoslawische Staatspräsident rügte,   ICTY: Strafgerichtshof für das
          die gegen ihn vor dem ICTY erhobene Anklage würde meh-  ehemalige Jugoslawien
          rere Konventionsrechte verletzen). Alle Instanzen bedeutet,   Erschöpfung des innerstaat-
          der Beschwerdeführer muss auch mögliche Rechtsmittel, wie   lichen Rechtsweges (local-
          Berufung oder Revision, eingelegt haben. Wenn eine weitere   remedies-rule)
          gerichtliche oder behördliche Überprüfung seines Anliegens
          durch nationale Behörden oder Gerichte nach innerstaatli-
          chem Recht nicht mehr zulässig ist, so liegt die Rechtsweger-
          schöpfung vor. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Rechts-
          wegerschöpfung wird gemacht, wenn der Staat die Befolgung
          des Rechtswegs verweigert, z. B. durch dauerhafte Verzögerung
          des Urteils.
            Die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gehört hier-  Verfassungsbeschwerde
          nach zum Rechtsweg der EMRK, auch wenn die Verfas-    gehört zum Rechtsweg.
          sungsbeschwerde nicht Teil des deutschen Rechtsweges ist.
          Man kann den EGMR folglich erst nach einer erfolglosen
          Verfassungsbeschwerde  anrufen.  Der  Grund  liegt  darin,
          dass die in der EMRK niedergelegten Rechte und Freiheiten
          weitgehend mit den Grundrechten des GG übereinstimmen
          und das BVerfG als einziges deutsches Gericht endgültig
          über das Vorliegen eines Grundrechtsverstoßes entscheiden
          kann. Die Beschwerde ist fristgebunden und nur innerhalb
          von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen
          Entscheidung möglich. Die Erhebung der Landesverfas-
          sungsbeschwerde ist trotz des föderalen Systems der Bun-
          desrepublik nicht ausreichend, die EMRK ist hinsichtlich des
          Staatsaufbaus der MS blind.
            Überdies muss der Beschwerdeführer für die In-      Rechtsschutzbedürfnis
          dividualbeschwerde ein Rechtsschutzbedürfnis haben
          (Art. 34 EMRK). Das Rechtsschutzbedürfnis ist das berech-
          tigte Interesse einer Person, ein Gericht wegen einer behaup-
          teten Rechtsverletzung in Anspruch zu nehmen. Das Rechts-
          schutzbedürfnis fehlt, wenn ohne die Inanspruchnahme des
          Gerichts das Rechtsschutzziel einfacher, billiger oder ohnehin
          erreicht würde.
            Nach Art. 35 EMRK in der Fassung des 14. ZP sind auch
          Individualbeschwerden unzulässig, die offensichtlich unbe-
          gründet sind oder wenn dem Beschwerdeführer durch die
          staatliche Maßnahme kein erheblicher Nachteil entstanden
          ist, außer die EMRK-Grundrechte erfordern eine Prüfung
          der Begründetheit oder es fand bis zur Beschwerdeeinle-
          gung noch keine Überprüfung durch ein nationales Gericht
          statt. Die Prüfung der offensichtlichen Begründetheit einer
          Rechtssache ist mithin Teil der Zulässigkeitsprüfung, eine
          Voraussetzung die über die Möglichkeit der Rechtsverlet-
          zung des deutschen Rechts, vgl. § 42 VwGO, weit hinaus-
          geht.
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