Page 69 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          3.2  •  Die EMRK


          dem Staat untersagt, die Vereinigungsfreiheit dadurch auszu-
          höhlen, dass er Arbeitnehmern finanzielle Anreize bietet, um
          auf wichtige Rechte als Gewerkschaftsmitglieder zu verzichten
          und somit in das Recht auf Vereinigungsfreiheit von Gewerk-
          schaften einzugreifen (Wilson, EGMRE 2002-V, 49, Rz. 41).
          Trotz des durch Artikel 11 EMRK gewährleisteten Schutzes
          von Gewerkschaften kann die Vorschrift nicht so verstanden
          werden, dass sie auch einen ausschließlichen Anspruch seitens
          der Gewerkschaft auf Aushandlung von Tarifverträgen mit Ar-
          beitnehmern enthält.
            Eine Definition des Begriffes „Versammlung“ lässt sich in   Versammlung
          der Konvention nicht finden. Es ist aber von einem weiten Be-
          griff auszugehen, der öffentliche und private Versammlungen
          umfasst. Unter einer Versammlung ist jedes friedliche, organi-
          sierte Zusammenkommen von Menschen zum gemeinsamen
          Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung oder Meinungsäu-
          ßerung zu verstehen.
            Artikel 11 unterliegt der besonderen Schranke des Abs. 2.
          Jeder Eingriff muss gesetzlich vorgesehen sein, ein in Arti-
          kel 11 II EMRK genanntes legitimes Ziel verfolgen und ver-
          hältnismäßig sein. Regelmäßig muss sich der EGMR mit der
          Rechtmäßigkeit von Parteiverboten auseinandersetzen. Der      Parteiverbot
          EGMR sieht Parteien als besonders bedeutsam für das Funk-
          tionieren einer demokratischen Gesellschaft an, so dass ein
          Parteienverbot nur unter Heranziehung besonders schwerwie-
          gender Gründe als verhältnismäßig angesehen werden kann
          (Yazar u. a., EGMRE 2002-II, 395, Rz. 51). Die „besonders
          schwerwiegenden Gründe“ sind darüber hinaus unter Berück-
          sichtigung der in Artikel 10 EMRK verbürgten Meinungsäuße-
          rungsfreiheit auszulegen, die auch im Rahmen von Artikel 11
          zu beachten ist. Somit kann ein Parteiverbot nur dann als ver-
          hältnismäßig angesehen werden, wenn eine Partei bei ihrem
          Vorgehen gegen eine nationale Verfassung rechtswidrige Mittel
          anwendet und ihr Ziel demokratischen Grundprinzipien wi-
          derspricht. Eine Verletzung demokratischer Grundprinzipien
          liegt nicht vor, wenn eine Partei Minderheitenrechte einfordert
          und die diesbezügliche Politik einer Regierung kritisiert. Hier
          sind wiederum die Umstände des Einzelfalls von entscheiden-
          der Bedeutung.
            Aus Art. 16 EMRK ergibt sich eine erleichterte Einschrän-
          kungsmöglichkeit von Art. 10 und 11 EMRK für die politi-
          schen Tätigkeit von Ausländern. Die Vorschrift gilt wegen des
          Vorrangs des EU-Rechts nicht für EU-Ausländer und lässt
          Art. 18 EMRK unberührt.
            Artikel 1 ZP I EMRK enthält drei verschiedene Vorschrif-  Eigentumsschutz, Art. 1 ZP I
          ten zum Eigentumsschutz.
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