Page 64 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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58 Kapitel 3 • Der Europarat und die EMRK
Art. 7 II EMRK
(2) Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung ei-
2 ner Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung
oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ih-
rer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern
3 anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.
Die Ausnahme des Abs. 2 ist durch die Nürnberger Kriegs-
verbrecherprozesse motiviert. Mit der Ausnahme soll ausge-
schlossen werden, dass sich Angeklagte auf den nulla poena-
Grundsatz als nur geschriebenes Recht umfassend berufen.
Z. B. wurden die in Nürnberg angeklagten Straftatbestände aus
ungeschriebenem Recht, dem Völkergewohnheitsrecht, herge-
leitet. Durch das Straftribunal für Jugoslawien (ICTY) und den
neugeschaffenen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) hat die
Klausel wieder an Aktualität gewonnen.
Gebot der Achtung der Art. 8 EMRK ist die zentrale Vorschrift für den Schutz
privaten Sphäre der privaten Lebensgestaltung und ihr kommt überdies eine
Auffangfunktion zu, so dass sie sehr häufig als verletzt gerügt
wird. Die Norm schützt den Lebensbereich, den ein Indivi-
duum zur Entfaltung seiner Persönlichkeit benötigt, so weit,
wie dieser Bereich nicht in Konflikt mit öffentlichen oder
anderen geschützten Interessen kommt. Geschützt sind u. a.
2 die geschlechtliche Identität, der Name, die sexuelle Orien-
tierung, das Sexualleben, das Recht auf persönliche Entwick-
lung, das Recht am eigenen Bild (Caroline von Monaco, NJW
2 2004, 2648) und das Recht auf Selbsttötung (Pretty, a. a. O.,
Rz. 239 f.). Art. 8 EMRK schützt auch die Unverletzlichkeit
2 der Wohnung, die Freiheit des Briefverkehrs und, gemeinsam
mit Art. 12, auch das Familienleben. Die Unverletzlichkeit der
Wohnung umfasst ebenfalls das Recht auf ungestörte Nutzung
2 der Wohnung, wogegen materiell (Betreten) oder immateriell
(Lärm) verstoßen werden kann.
2 Ein staatlicher Eingriff, der auch in einem Unterlassen vom
Ergreifen von Schutzmaßnahmen liegen kann, in dieses Recht
2 ist nicht immer rechtswidrig. Der Eingriff kann nach Abs. 2
gerechtfertigt sein.
2 Art. 8 EMRK – Rechtfertigung
(2) Eine Behörde darf in dieses Recht nur eingreifen, soweit der
2 Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen
Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Si-
cherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechter-
2 haltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz
der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und
Freiheiten anderer.