Page 61 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          3.2  •  Die EMRK


          Festnahme oder Haft entzogen wird, das Recht, ein Verfahren
          zu beantragen, in dem von einem Gericht unverzüglich über
          die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden und im Falle der Wi-
          derrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird. Art. 5 IV
          EMRK gilt für alle in Abs. 1 genannten Arten der Freiheitsent-
          ziehung. Im Gegensatz zu Abs. 3 ist bei Abs. 4 ein Antrag des
          Betroffenen erforderlich und die Regelung beinhaltet nur eine
          Verfahrensgarantie auf Haftüberprüfung. Beide Rechte können
          nebeneinander geltend gemacht werden.
            Zu den wichtigsten Normen der Konvention gehört Art. 6.   Verfahrensgarantien,
          Die dort geschützten Verfahrens- und Justizgarantien gehören   Art. 6 EMRK
          zu den elementaren rechtsstaatlichen Verbürgungen.
            Gegen die Regelung wird, wie sich der Rechtsprechung des
          EGMR entnehmen lässt, sehr häufig verstoßen. Der Schutzbe-
          reich von Art. 6 I EMRK umfasst Zivil- und Strafverfahren, die
          Absätze 2 und 3 gelten nur für Strafverfahren. Das Zivilverfah-
          ren wird weit ausgelegt und umfasst Streitigkeiten zwischen
          Privatpersonen (die klassische zivilrechtliche Streitigkeit), aber
          auch zwischen einer Privatperson und einer öffentlichen Stelle,
          wenn es um einen Anspruch geht, der zivilrechtlichen Charak-
          ter aufweist. Dies umfasst das Baurecht, die Enteignung (ent-
          eignender und enteignungsgleicher Eingriff) und das Staats-
          haftungsrecht (Art. 34 GG / § 839 BGB). Nicht unter Art. 6 I
          EMRK fallen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts, soweit es
          sich nicht um Strafrecht handelt. Strafrecht im Sinne der Norm
          liegt vor, wenn die Natur der innerstaatlichen Vorschrift eine
          Kriminalvorschrift darstellt, also eine generell-abstrakte Ver-
          haltensvorschrift ist. Hierzu gehört auch das deutsche Ord-
          nungswidrigkeitenrecht.
            Der wohl wichtigste in Art. 6 EMRK enthaltene Grundsatz   Prinzip des „fair trial“ (Prinzip
          ist das sog. „fair trial“. Die Erklärung dieser Regel ist kaum in   des gerechten Verfahrens)
          eine Definition zu fassen. Das „fair trial“, ein faires Verfahren,
          spielt in vielen Bereichen zivil- und strafrechtlicher Verfahren
          eine Rolle. Ein wichtiges Element des Grundsatzes ist, dass ei-
          ner Partei im Zivilprozess oder einem Angeklagten im Straf-
          verfahren ausreichende, angemessene und gleichberechtigte
          Gelegenheit zur Stellungnahme zu Tatsachen und Rechtsfragen
          gegeben werden muss (Le Compte, EuGRZ 1981, 551 ff.). Ein
          weiterer Teil des „fair trial“ ist der Grundsatz der Waffen- und
          Chancengleichheit. Danach hat insbesondere der Angeklagte
          im Strafprozess ein Recht auf die gleichen prozessualen Mittel,
          d. h. Waffen, wie die anklagende Staatsanwaltschaft. Daneben
          gehören auch noch Aspekte des Beweisrechts und das recht-
          liche Gehör zum fairen Verfahren. Beweise müssen danach
          grundsätzlich in Anwesenheit des Angeklagten während der
          mündlichen Verhandlung erhoben werden. Ausnahmen hier-
          von sind nur unter sehr engen Grenzen möglich (vgl. Haas,
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