Page 58 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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52   Kapitel 3  •  Der Europarat und die EMRK


                                  Art. 2 EMRK erlaubt Organen der Staatsgewalt (Polizei etc.)
                                  nur eine Notwehr mit Tötung einer anderen Person, wenn
                                  durch die Notwehr zumindest ein ähnlich überragendes
   2                              Rechtsgut wie das Leben eines Menschen verteidigt wird.
                                  § 32 StGB dagegen verlangt eine solche Güterabwägung nicht
   3                              und lässt theoretisch auch eine Tötung bei einem Eigentums-
                                  delikt zu. Daher widersprechen sich die EMRK und das deut-
                                  sche Strafgesetzbuch.
          Recht auf Sterbehilfe      Ins Blickfeld rückte auch, ob aus Art. 2 EMRK ein Recht
                                  auf Sterbehilfe abgeleitet werden kann. In dem Urteil Pretty
                                  entschied der EGMR, dass Art. 2 EMRK keinen negativen, le-
                                  bensbeendenden Aspekt enthalte (Pretty, EGMRE 2002-III,
                                  155, Rz. 40). Art. 2 umfasst als negative Freiheitsausprägung
                                  nicht das Recht unter Mithilfe einer anderen Person zu sterben
                                  (anders bei Art. 8 EMRK, s. S. 65).
          Folterverbot               Zu den absolut gewährleisteten Rechten gehört das Ver-
                                  bot von Folter und unmenschlicher Behandlung im Sinne
                                  des Art. 3 EMRK. Geschützt wird die physische und psychi-
                                  sche Identität von Personen. Folter definiert man als eine
                                  unmenschliche Behandlung, die Leiden von besonderer In-
                                  tensität und Grausamkeit verursacht (s. a. Art. 1 Antifolter-
                                  konvention), auch die Androhung ist untersagt (Gäfgen, Urt.
                                  v. 30.6.2008 – 22978/05). Unmenschliche oder erniedrigende
                                  Behandlung meint absichtliche Zufügung unangemessener
   2                              (Abwägung, was noch angemessen ist) schwerer psychischer
                                  oder physischer Leiden, z. B. besondere Verhörmethoden. Die
                                  Unterscheidung zwischen Folter und unmenschlicher Behand-
   2                              lung liegt in der Schwere der gegenständlichen Handlung.
                                  Art. 3 EMRK verbietet unmenschliche Haftbedingungen und
   2                              steht der Abschiebung in Staaten entgegen, die nicht in Ein-
                                  klang mit der Vorschrift handeln. Dies erfordert eine Prognose
                                  seitens des auslieferungswilligen Staates. In Deutschland ist
   2                              das Abschiebehindernis des Art. 3 EMRK über § 60 AufenthG
                                  inkorporiert worden.
   2                                 Die Verhängung der Todesstrafe in einem unfairen Ver-
                                  fahren, d. h. einem Verfahren, welches nicht in Einklang mit
   2                              Art. 6 EMRK steht, stellt auch eine unmenschliche Behand-
                                  lung im Sinne von Art. 3 dar (EGMR, Öcalan, EuGRZ 2003,
                                  472, Rz. 213; in Dtld.: § 60V AufenthG). Die Verweigerung der
   2                              Sterbehilfe für einen Todkranken ist keine erniedrigende oder
                                  unmenschliche Behandlung im Sinne der Vorschrift (EGMR,
   2                              Pretty, EGMRE 2002-III, 155, Rz. 56).


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