Page 63 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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3.2 • Die EMRK
die strafrechtlich verfolgte Person unschuldig ist. Das Prinzip
bindet Gerichte und auch andere Staatsorgane wie Polizei und
Staatsanwaltschaft. Die Presse ist nicht Staatsorgan und damit
nicht verpflichtet, die Unschuldsvermutung zu beachten. Al-
lerdings besteht eine staatliche Schutzpflicht, vorverurteilende
Pressekampagnen zu unterbinden.
Absatz 3 des Art. 6 EMRK legt gewisse rechtsstaatliche Rechtsstaatliche Mindest-
Mindeststandards für ein Strafverfahren fest, wobei es sich um standards
aufgezählte Ausformungen von bestimmten Grundsätzen des
„fair trial“ handelt. Dabei geht es um Rechte einer angeklagten
Person und seines/r Verteidigers/in, die aus sich selbst heraus
verständlich sind. Art. 6 III lit. e EMRK ist als endgültige Kos-
tenfreistellung zu verstehen. Auch im Falle einer Verurteilung
muss der Angeklagte die Dolmetscherkosten nicht tragen (Lue-
dicke, EuGRZ 1979, S. 34). Die vorherige Praxis deutscher Ge-
richte, wonach die Norm nur eine vorläufige Kostenfreistellung
meine, dass also die Angeklagten im Falle einer Verurteilung
die Dolmetscherkosten zu tragen hätten, war rechtswidrig.
- faires Verfahren,
Noch einmal die Grundsätze des Art. 6 EMRK:
-
-
Waffengleichheit,
-
schnelles Verfahren,
-
öffentliches Verfahren,
-
Recht auf ein unabhängiges gesetzliches Gericht,
Unschuldsvermutung.
Art. 7 I EMRK schützt fundamentale Grundsätze des nationa- Nulla poena/Nullum crimen
- Nulla poena sine lege – keine Bestrafung ohne vorher sine lege
len und internationalen Strafprozessrechts. Hierzu gehören:
bestehendes entsprechendes Gesetz. Analogien sind
- Nullum crimen sine lege – ein menschliches Verhalten
untersagt.
kann nur bestraft werden, wenn erkennbar klar gesetz-
lich niedergelegt ist, dass es sich bei einem bestimmten
Verhalten um eine Straftat handelt. Niemand kann also
wegen einer Tat bestraft werden, wenn die Tat zum Zeit-
punkt der Begehung nicht gesetzlich mit Strafe bedroht
war (sog. „Rückwirkungsverbot“).
Besondere Bedeutung für Deutschland erlangte Art. 7 I EMRK Schießbefehl an der innerdeut-
in dem Verfahren über die Schießbefehle an der innerdeut- schen Grenze
schen Grenze. Der EGMR kam u. a. zu dem Ergebnis, dass
der Schießbefehl völkerrechtswidrig war und die Verantwort-
lichkeit für die handelnden Personen zum Tatzeitpunkt vor-
hersehbar war (Krenz u. a., EGMRE 2001-II, 409; eine andere
Begründung findet sich in dem vorangegangenen Urteil des
BVerfG in der gleichen Sache, BVerfGE 95, 96).