Page 65 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          3.2  •  Die EMRK


          Die Notwendigkeit richtet sich danach, ob eine staatliche Maß-  Bei der Einschätzung der
          nahme „vernünftig, sorgfältig und gutgläubig“ war (Sunday   Verhältnismäßigkeit einer
          Times, EuGRZ 1980, 209), was anhand der Umstände des je-  Maßnahme kommt dem Staat
          weiligen Einzelfalles zu beurteilen ist. Dabei hat der jeweilige   ein gewisser Beurteilungs-
          Staat einen gewissen Einschätzungs- oder Beurteilungsspiel-  spielraum zu.
          raum („margin of appreciation“). Der Begriff „verhältnismä-
          ßig“ bedeutet, die mit dem Eingriff vertretenen Rechtspositi-
          onen müssen gegen die vom Eingriff betroffenen abgewogen
          werden. Im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Staaten
          liegende nationale Gesetze sind verhältnismäßig und mithin
          konventionsgemäß.
            Der Eingriff muss verhältnismäßig im weiteren Sinne
          -   geeignet, das mit ihm vertretene Recht oder Interesse zu
          sein:
          -   erforderlich, um dieses Interesse zu schützen, d. h., er
            schützen,

            muss das mildeste Erfolg versprechende Mittel sein, um
          -   schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne, das
            das Recht zu schützen,
            bedeutet, bei Abwägung aller Interessen und Rechte,
            die für und gegen den Eingriff sprechen, muss das
            mit dem Eingriff geschützte Recht überwiegen, und
            das individuelle Recht, in das nach Art. 8 II EMRK
            eingegriffen werden kann, muss nach der Abwägung
            zurückstehen,

          In dem oben genannten Urteil Pretty wurde das Verbot der
          Sterbehilfe als vereinbar mit Art. 8 EMRK angesehen. Inst-
          ruktiv zur Abwägung zwischen der Achtung des Privatlebens
          und der von Art. 10 EMRK geschützten Meinungsäußerungs-
          freiheit ist das Urteil Caroline von Monaco v. 24.6.2004, wo-
          nach das Recht auf Privatleben auch bei in der Öffentlichkeit
          stehenden Personen wie Caroline von Monaco Vorrang ge-
          genüber Art. 10 genießen kann. Das entgegenstehende Urteil
          des BVerfG (BVerfGE 101, 361) ist insoweit konventionswid-
          rig.
            Das Recht auf Eheschließung wird durch Art. 12 EMRK   Weitere Persönlichkeitsrechte
          gewährleistet; es enthält nicht das Recht auf Scheidung als ne-
          gative Freiheit, dieses wird jedoch von Art. 5 7. ZP vorausge-
          setzt. Ehe meint nur die Beziehung zwischen zwei unterschied-
          lichen Geschlechtern, gleichgeschlechtliche Partnerschaften
          werden von Art. 8 EMRK geschützt.
            Die Bildung als Unterfall des Persönlichkeitsrechts wird
          von Art. 2 1. ZP gewährleistet. Der Staat wird verpflichtet,
          ein staatliches Bildungssystem einzurichten und dem Ein-
          zelnen ein Recht auf Teilhabe daran zu geben. Daneben wird
          den Eltern das Recht auf Erziehung eingeräumt. Diese beiden
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