Page 59 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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3.2 • Die EMRK
Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit
Art. 4 verbietet absolut die Sklaverei oder Leibeigenschaft. Laut
Abs. 2 darf niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflicht-
arbeit zu verrichten, was in Abs. 3 näher bestimmt ist. Danach
gelten als „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ nicht:
a) jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt
wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Kon-
vention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder
bedingt freigelassen worden ist;
b) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle
der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo
diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der
militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung; […]
c) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürger-
pflichten gehört.
Zwangs- und Pflichtarbeit sind ebenfalls absolut geschützt. Skla- Eine Beschwerde eines
verei ist die zumindest teilweise Ausübung von Eigentümerbe- deutschen Anwalts gegen
fugnissen über eine andere Person (s. Siladin, Urt. v. 26.7.2005, die zwangsweise Bestellung
Nr. 73316/01). Zwangsarbeit ist die Verpflichtung zu einer (Zuteilung) eines Mandanten
höchstpersönlichen Dienstleistung gleich welcher Art (van der gemäß dem früheren Armen-
Mussele, EuGRZ 1985, 477). Die Frage war hier vor allem, ob recht (heute: Prozesskosten-
Angehörige eines bestimmten Berufes im Rahmen dieses Be- hilfe), dem Anwaltsschutz
rufes zur Arbeit verpflichtet werden können. Nicht unter Art. 4 für Mittellose wurde von
fallen die Arbeit während der Haft, Militärdienst und „normale“ der MrK zurückgewiesen.
Bürgerpflichten. Eine Gewährleistung der Berufs- oder Gewer- Die Bestellung erfolgte zwar
befreiheit, d. h. dass jedermann den Beruf seiner Wahl erlernen unfreiwillig, aber sie sei nicht
und ausüben bzw. das Gewerbe seiner Wahl betreiben kann, ungerecht oder unterdrückend.
beinhaltet Art. 4 nicht. Zu den normalen Bürgerpflichten des
Buchstaben d) gehört z. B. der Wehr- oder Ersatzdienst.
Artikel 5 EMRK sichert das Recht auf die persönliche Recht auf Freiheit und
(Fortbewegungs-)Freiheit. Die Norm gehört zu den am Sicherheit, Art. 5 EMRK
häufigsten vor dem EGMR gerügten Vorschriften. Garantiert Recht auf persönliche Fortbe-
werden der Schutz vor willkürlicher, d. h. rechtsmissbräuch- wegungsfreiheit
licher und nicht verhältnismäßiger Festnahme und Haft (s. a.
Gussinsky, Urt. v. 19.5.2004). Eine Freiheitsentziehung ist eine
staatliche Maßnahme, durch die eine Person gegen oder ohne
ihren Willen an einem bestimmten und räumlich begrenzten
Ort für eine gewisse Zeit festgehalten wird. Nicht vereinbar
mit Art. 5 I EMRK sind, auch wenn dies im Wortlaut nicht
ausdrücklich angelegt ist, völkerrechtswidrige Festnahmen
(Öcalan, s. o.). Im deutschen Recht regeln die StPO und einige
Artikel des GG diese Materie. Abzugrenzen ist Art. 5 von Art. 2
ZP IV, der auch die Bewegungsfreiheit schützt. Art. 5 EMRK
ist bei Haft lex specialis.
Rechtfertigungsgründe für das staatliche Tätigwerden ent-
halten die Buchstaben a) – f) von Art. 5 I 2 EMRK. Gesetzlich