Page 72 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 72

66   Kapitel 3  •  Der Europarat und die EMRK


                                     Der Gerichtshof besteht aus je einem Richter bzw. einer
                                  Richterin aus einem Vertragsstaat, zur Zeit also 47 Richtern.
                                  Sie werden in vier verschiedenen Spruchkörpern tätig: als
   2                              Einzelrichter, in Ausschüssen mit 3 Richtern, in Kammern
                                  mit 7 Richtern und in der Großen Kammer mit 17 Richtern,
   3                              welche hauptsächlich zur Lösung schwerwiegender Fragen
                                  zusammentritt.
                                     Der EGMR entscheidet in einem gerichtsförmigen Ver-
                                  fahren  über den Fall. Individualpersonen dürfen  vor ihm
                                  allerdings keine Anträge stellen, der Verletzte hat bei einer
                                  Individualbeschwerde nur ein Rederecht. Die Urteile des Ge-
                                  richtshofes sind verbindlich. Der Gerichtshof kann auch auf
                                  eine staatliche Entschädigung für ein Opfer erkennen.
          Das 11., 14., 15. und 16. Zusatz-  Das 11. ZP ersetzte die früheren Abschnitte II bis IV der
          protokoll               Konvention durch einen einheitlichen Abschnitt II und wurde
                                  wiederum durch das am 1. Juni 2010 in Kraft getretene 14. ZP
                                  geändert. Die Neuregelungen wurden notwendig, weil der
                                  EGMR hoffnungslos arbeitsüberlastet ist (Ende 2015 waren
                                  ca. 65.000 Beschwerden noch nicht entschieden). Das 15. und
                                  16. ZP sollen weitere Verfahrenserleichterungen bringen, sie
                                  sind aber noch nicht in Kraft getreten.
                                  -   die Staatenbeschwerde, Art. 33 (24) EMRK,
                                     Vor dem EGMR gibt es zwei Beschwerdearten,
                                  -
                                      die Individualbeschwerde, Art. 34 (25) EMRK.
   2      Staatenbeschwerde       Die Staatenbeschwerde (Art. 33 EMRK). Hier macht ein Kon-

                                  ventionsstaat geltend, ein anderer Konventionsstaat habe die
   2                              Konvention verletzt. Die Staatenbeschwerde wurde bislang nur
                                  in wenigen Fällen erhoben, da sie im internationalen Recht die
   2                              „Dicke Bertha“, das größte Geschütz, darstellt.
          Individualbeschwerde       Die Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK). Damit können
                                  zum einen jede natürliche Person und zum anderen nichtstaat-
   2                              liche Organisationen bzw. Personenvereinigungen, wie etwa
                                  Vereine, bei dem EGMR gegen einen Konventionsstaat vor-
   2                              gehen.
          Klagebefugnis              Die Individualbeschwerde hat sehr große praktische Be-
   2                              deutung. Der Beschwerdeführer muss aber, sonst ist seine
                                  Beschwerde unzulässig, geltend machen, dass er selbst unmit-
                                  telbar durch staatliches Verhalten in seinen Rechten aus der
   2                              EMRK verletzt ist (Klagebefugnis, vgl. Art 34 EMRK). Eine
                                  mittelbare Verletzung reicht nur aus, wenn schutzwürdige In-
   2                              teressen des Beschwerdeführers betroffen sind.
                                     Gemäß Art. 35 EMRK ist die Erschöpfung des innerstaat-
                                  lichen Rechtswegs unabdingbare Voraussetzung für die Zuläs-
   2                              sigkeit der Beschwerden, d. h., die Beschwerdeführer müssen
                                  vor staatlichen Gerichten durch alle Instanzen versucht ha-
                                  ben, Recht zu bekommen (abgelehnt z. B. in Milosevic, EuGRZ
   67   68   69   70   71   72   73   74   75   76   77