Page 11 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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der  im  alten  Trott  hungern;  manchmal  auch  ein  Glas
          Wein,  denn  der  betäubte unsere  ramponierten  Mägen,
          somit mussten diese nicht so leiden. Dann saß ich wieder
          lange apathisch draußen auf der Treppe. Oft spürte ich
          gar nicht mehr, wie mir meine zu kleinen Sandalen weh-
          taten, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Monat um Monat.
          Ein Hund, der uns dauernd besuchte, bekam immer was
          in den Futternapf. Meine Frage war oft, Maman, warum
          bekommt der Hund so wundervolle Esswaren? Sie sagte
          nur: Michel, das verstehst  du jetzt noch nicht, und lass
          mich bitte in Ruhe mit dieser ewigen Fragerei. Der Hund
          war mir nicht immer so geheuer, der Hunger plagte mich,
          und ich wollte an sein Essen; dabei knurrte er so bedroh-
          lich,  dass  ich  es  lieber  unterließ.  Oft  hatte  ich  solche
          Schmerzen, dass es mir schwindlig wurde. Dann musste
          ich  Galle  erbrechen  und  Reste  von  Resten,  woher  die
          kamen, bleibt mir ewig ein Rätsel. Dabei fror und zitterte
          ich so elendig, dass ich Jagd machte auf Würmer, Insek-
          ten aller Art und eines Tages auch auf das, was der Hund
          im Napf übrig gelassen hatte. Der Napf war übersät mit
          Schimmel und Grünspan, ich kehrte das Ganze nach un-
          ten, es sah sehr schleimig aus, aber einen Versuch war es
          wert. Der ganze Fraß roch nach Hafer, nach ein paar Bis-
          sen  erbrach  ich  mich  auf  fürchterliche  Art,  mir  kam  es
          vor,  als  würde  es  mir  die  Eingeweide  zerbersten.  Doch
          wenn du Hunger verspürst auf diese Weise, holst du dir
          auch gerne mal blutige Finger, um an der Baumrinde zu
          schälen,  Blätter  zu  essen,  nur  damit  der  Hunger  ver-
          schwindet;  aber  leider  rebellierte  der  Magen  auf  seine
          Art. Nach der Nahrungssuche gab es nur noch eines: zum
          näher gelegenen Bach, um den Mund zu spülen und we-
          nigstens Wasser zu trinken. Das war eine echte Wohltat.



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