Page 280 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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258                       Raoul Richter.

       Objectes widersprechend berichten (siehe oben), sondern wo sie nur auf
       verschiedene Eigenschaften an den Dingen hinweisen.  Dies wäre an
       sich, wie schon bemerkt, noch kein Widersinn; denn warum sollen
       den Dingen nicht verschiedene Eigenschaften zukommen?   Aber die
       bisher befolgte Methode, aus dem Widerspruch    in den Aussagen
       der Wahrnehmungen    (bei den verschiedenen Lebewesen, den ver-
       schiedenen Menschen,  den  verschiedenen Sinnesgebieten  desselben
       Menschen) über  die gleiche Eigenschaft auf  die ünerkennbarkeit
       der Dinge zu schließen, wird verlassen, und auf das Verhältniss der
       Mannigfaltigkeit der subjectiv sinnlichen Empfindungen zur Mannig-
       faltigkeit  der  objectiven  Qualitäten  reflectirt.  Ist  es auch  kein
       Widerspruch, dass, wie unsre Empfindungen uns lehren, den Dingen
       viele QuaHtäten zukommen,  so  ist doch  die Möglichkeit vorhanden,
       dass das Ding,  z. B. der Apfel, nur eine Beschaffenheit, oder mehr
       Beschaffenheiten,  als  wir wahrnehmen,  besitzt.  Könnte  das  ein-
       beschaffene Ding sich nicht in unseren Sinnen verschieden spiegeln  i),
       oder könnten wir nicht über zu wenig Sinnesorgane verfügen, um
       alle objectiven Qualitäten in ihnen aufzunehmen?  Hier nun scheint
       die skeptische Voraussetzung des naiven Beahsmus einigermaßen auf-
       gehoben, der entsprechend ein unabhängig vom Subject existirendes,
       mit sinnlichen Qualitäten begabtes Ding angenommen wird, in dessen
       ungetreuem Abbild unsre Vorstellung besteht. Man könnte vermuthen,
       das Ding an sich werde hier als etwas von den sinnlichen Empfin-
       dungen ganz verschiedenes, eigenartiges und andersartiges fingirt, das
       sich nur  in den menschlichen Sinneswahrnehmungen mit Farben,
       Geruch, Geschmack u. s. w.  darstelle.  Aber bei näherem Hinsehen
       schwindet diese Ansicht, als sei der naive Beahsmus fallen gelassen
       und der kritische Eealismus hier in den Gesichtskreis der Skepsis
       getreten.  Denn  zu  deutlich  erhellt  aus  den  Ausführungen  des
       Sextus, dass an dem Apfel, selbst wenn er [xovosioe? gedacht wird,



          1) Diog. IX, 81 hat diesen schlagendsten Vergleich, während Sextus die
       S. 260 angezogenen materialistischen Vergleiche zur Erläuterung benutzt.  Im
       Uebrigen  berücksichtigt dieser Tropus  bei Diog. nur die Verschiedenheit der
       Sinnesempfindungen im gleichen Individuum, welchen vielleicht eine einheitliche
       Beschaffenheit des Objects zu Grunde liege. Weder kennt er die Möglichkeit von
       mehr Beschaffenheiten am Ding an sich, als die Empfindungen lehren, noch re-
       flectirt er auf die qualitativ contradictorischen Empfindungen oder Gefühle.
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