Page 284 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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272                       Raoul Richter.

           Dagegen kommt der neunte Tropus für uns insofern in Betracht,
        als er ausschließlich aus der Divergenz gewisser G-e fühle, welche
        in dem häufigen oder seltenen Vorkommen der Dinge wurzelt,   auf
        die Unerkennharkeit  der Objecto  zurückschließt.  Hier  bricht  die
        realistische Voraussetzung am krassesten hindurch, nach der nicht
        nur  die Empfindungs-, sondern auch die Gefühls-, ja die Willens-
        und Werthqualitäten als den Dingen an sich zukommend angenommen
        werden. Denn weder führt dieser Tropus irgend welche Empfindungs-
        unterschiede ein, auf welche die Gefühle und Werthschätzungen  (als
        an ihnen in der Form subjectiver Reactionen haftend)  sich zurück-
        führen ließen,  noch wird  dieser Beziehung  der  G-efühls-  auf  die
        Empfindungsdifferenzen und damit der Berechtigung, Gefühle zu den
        Dingen überhaupt in Relation zu setzen (etwa wie oben  S. 263 ff),
        mit einem Wort Erwähnung gethan.    Sondern lediglich aus der Er-
        fahrung, dass der Anbhck des Meeres in dem Neuling das Gefühl der
        üeberraschung hervorruft, in dem Küstenbewohner aber nicht, oder
        daraus,  dass Gold wegen  seiner Seltenheit uns werthvoU, Wasser
        wegen seines häufigen Vorkommens uns werthlos erscheint, wird ge-
        folgert:  »dass wir, wie beschaffen von diesen Dingen jedes erscheint,
        in Verbindung mit seinem dauernden oder seltenen Vorkommen, viel-
        leicht werden sagen können; wie aber jedes von den außerhalb unter-
        liegenden Dingen rein an  sich  (^J^iXw?) beschaffen  ist,  nicht zu be-
        haupten im stände sind«^).  Geht daraus nicht klar hervor, dass es
        eine Lieblingsvoraussetzung der Skepsis  ist,  sich  die Dinge an sich
        mit Gefühlen und Werthen behaftet vorzustellen, und dem Meer die
        Eigenschaften des ErstaunHchen oder Gleichgültigen, dem Golde die
        des Werthvollen oder Werthlosen zuzusprechen, und nui' die Erkenn-
        barkeit dieser Eigenschaften für uns zu bezweifeln? War   sie  bis
        jetzt an den Stellen, wo sie die Gefühle und Werthe auf qualitative
        Empfindungsdifferenzen bezog, mit dieser Voraussetzung nur zaghaft
        hervorgetreten, indem ihre vage Ausdrucksweise es dabei offen ließ,
        ob die Gefühle als Eigenschaften der Dinge uns durch die Empfin-
        dungen vermittelt würden, ober ob  sie bloß  subjective Reactionen
        auf quaHtative Unterschiede  in den letzteren  seien,  so schUeßt der
       neunte Tropus, indem er die Sinneswahmehmungen     völlig aus dem


           1) P.  I, 144.
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