Page 289 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die erkenntnisstheoretischen Voraussetzungen des griech. Skepticismus.  277

      dahingestellt lassen'),  Diogenes, bei dem ja überhaupt das Ver-
      hältniss von Erscheinung und Ding an sich mehr in den Hintergrund
     tritt, macht auch bei der Wiedergabe dieses Tropus  (es ist bei ihm
      Tr. V) von der naiv-reaUstischen Voraussetzung keinen Gebrauch,
     sondern  schließt nach  der Exposition der erwähnten Verschieden-
     heiten:  oÖ£v  TTspt t'aXTjöou?  Tj  iTzoyT^^).  Im Einklang damit trennte
     Agrippa den fraglichen Tropus von den übrigen neun ab      (die  er
     in den einen einzigen Tropus  tz^6c, xt zusammenschmolz) und nahm,
     wenn wir uns an die Darstellung bei Sextus halten, das Verhältniss
     von Ding an sich und Erscheinung nicht in ihn auf.    Sondern der
      Tropus Ix TTj?  8ta<p(üvi7.c wird wieder, was  er wohl ursprünglich ge-
     wesen sein mag, zu der einfachen, von allen naiv-realistischen Voraus-
     setzungen noch freien Behauptung,   »dass wir über ein vorliegendes
     Problem   stets einen unentscheidbaren Zwist sowohl im Leben,  als
     auch bei den Pliilosophen vorfinden, auf Grund dessen wir  .  .  . bei
                                             Dagegen wird bei der Er-
     der Zurückhaltung anlangen müssen« 3),
     klärung  desjenigen  Tropus,  welcher  die neun von  der sinnHchen
     Wahrnehmung handelnden zusammenfasst, durchaus von den naiv-
     reahstischen Voraussetzungen Gebrauch gemacht. Der Tropus r.p6c, n
     wird dahin erläutert,  dass nach ihm das  uiroxeijjLevov in dem  cpatvo-
      fievov stets getrübt erscheine und somit nicht rcpo?  ttjv ^tSoiv erkannt
     werden könne *). Die Motive aber, welche der Einordnung des Inhalts
     des zehnten Tropus in die Beziehungen zwischen Ding und Erschei-
     nung zu Grunde lagen, sind ersichtlich;  einmal der Wunsch, diesen
     Tropus nicht ganz aus der Ai-gumentationsweise der übrigen heraus-
     fallen zu lassen, also ein gewisser architektonischer Trieb; dann aber
      das Bewusstsein, durch diese Anschauungsweise auch die Erkennbar-
     keit der ethischen Werthe nach gleicher Methode wie diejenige der
     sinnlichen Objecto vernichten zu können.
         Während die soeben besprochenen Voraussetzungen über die Kea-
     lität sittlicher Werthe naturgemäß in der Nähe der skeptischen Wahr-
         1) Dass Sextus mit dem Text der ursprünglichen Tropen Veränderungen
     vorgenommen hat, zeigen besonders die logisch-dialectischen Einschiebsel, in denen
      er von den neuen Tropen des Aggrippa zur Erläuterung der Aenesidem' sehen
      Tropen Gebrauch macht (vgl. Pappenheim, Erläut. S. 44/45).
         2) Diog. IX, 84.  Allerdings zieht auch Diog. IX, 79 die Summe des In-
     halts der 10 Tropen in dem Satze: xd  'j-oxei[i.£va -apaXXarrovTa i^palvero.
         3) P.  I, 165.    4) P. I, 167.
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