Page 290 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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278 ß-aoul Richter.
nehmungstheorie zu finden waren, so herrschen die beiden andern
Auffassungen, welche die Existenz von Werthen an sich entweder
zweifelhaft lassen oder geradezu leugnen, in den eigentlich ethischen
Partien!) der Werke des Sextus durchaus vor. Wir wollen auch
hier die Wandlung von der milderen Form zu der radicaleren kurz
verfolgen. Dabei lässt sich eine Trennung der Belegstellen nur an-
näherungsweise durchführen; denn ein großer Teil derselben schillert
nach beiden Seiten und bestätigt damit nur, dass in die skeptischen
Aeußerungen hier unbewusste Voraussetzungen hineinspielen, die auf
dem Gebiet der Ethik aber nicht nur psychologisch unter der Schwelle
des Bewusstseins , sondern auch logisch vor der Schwelle der Ein-
deutigkeit geblieben sind.
2) Die weniger realistische Form in den Voraussetzungen über
das Dasein absoluter sittlicher Werthe lässt sich in ihrer Besonder-
heit gegenüber dem nächstniederen Grad an realistischen Voraus-
setzungen vielleicht am treffendsten so formuliren: es wird behauptet,
nicht, dass es Gutes und Schlechtes an sich nicht gibt (das bleibt
vielmehr offen), sondern dass es Nichts gibt (soweit wir erkennen),
das an sich gut oder schlecht wäre. Dass dieser Unterschied, auf
den ersten Blick gekünstelt und sophistisch scheinend, in Wahr-
heit ein sehr tiefgehender für die Beurtheilung sittlicher Ver-
hältnisse ist, indem sich auf der einen wie der anderen Basis ganz
andere Gedankengänge zu entwickeln pflegen, weiß jeder Kundige.
Die gesuchte Auffassung kommt nun am deutlichsten da zum Aus-
druck, wo das reale Vorhandensein, die uirapEt«; sittlicher Werthe,
als das eigentliche Problem der skeptischen Ethik in Frage steht 2).
Nachdem die Begriffe des Guten, Schlechten, Unterschiedslosen in
stoischem Sinn definirt sind, wird das oben angeschlagene Problem
von der »Existenz dieser vielleicht nicht bestehenden Dinge« (ta^^a
dvuTrdoTaTa irpdtYfxaTa) wieder aufgenommen ^) ; die Lösung bewegt sich
1) P. in, 168—279. Math. XI. 2) P. ni, 168.
3) P. ni, 178. Dieser Ausdruck ist allerdings mehrdeutig. Das läya. ist eine
auch als stehender Zusatz gebrauchte Redensart der Skepsis (P. 1, 194/196), könnte
also auch bedeuten, dass die Ansicht von der Nichtexistenz der sittlichen Werthe
ihres dogmatischen Charakters zu entkleiden sei, und nicht, dass die Ansicht von
dem problematischen Charakter dieser Existenz hier vorgetragen werde (ein zwar
überfeiner, aber für die Beurtheilung antik-skeptischer Sätze tiefgreifender Unter-
schied).