Page 278 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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2ßß                       Raoul Eichter.

        an einander gebunden, wie Empfindung und Gefühl, verhalten sich
        auch Gefühl und Wille zu einander.   All das aber wird ohne Be-
        gründung und als selbstverständliche Voraussetzung eingeführt.
           Der  dritte Tropus unterstützt unsre Vermuthungen über     die
        naiv-realistischen Voraussetzungen der Skepsis bedeutend.  Er schließt
        von dem Widerspruch unter den Wahrnehmungen verschiedener
        Sinne  auf  die Unerkennbarkeit  der Dinge.  Weil nun   aber  ein
        solcher Widerspruch  der Wahrnehmungen nur    in Bezug   auf  die
        nämliche Qualität  eines Dinges möglich  ist, da ja die gelbe Farbe,
        die uns das Auge, der süße Geschmack, den uns     die Zunge ver-
        mittelt, zwar verschiedene, aber nicht widersprechende, einander aus-
        schließende Sinnesaussagen  über den Honig  sind — denn in der
        Mehrheit von Eigenschaften,  die wir einem Dinge zusprechen, liegt
        kein Widersinn — so wählte die Skepsis sich geschickt den einzigen
        Fall heraus,  in welchem über  die gleiche Eigenschaft zwei Wahr-
        nehmungsorgane verschieden berichten: den Fall, in welchem Tast-
        und  Gesichtssinn  die  räumliche  Beschaffenheit  (Erhöhungen, Ver-
        tiefungen  eines Gemäldes)  abweichend  empfinden  i).  Im Uebrigen
        war sie ganz auf die contradictorische Verschiedenheit der Gefühle
        über denselben Gegenstand oder auf die physiologisch entgegen-
        gesetzten Folgen desselben zur Illustration  dieses Tropus,  also auf
        den indirecten Weg angewiesen, die Siacpopa rtuv aJoOyjostüv darzuthun.
        So beruft man  sich darauf, dass der Honig dem Geschmack Lust-,
        dem Gesicht Unlustgefühle errege 2), dass die Myrrhe den Geruchssinn
        angenehm,  den Geschmackssinn unangenehm     berühre.  Aber  von
        diesem Gegensatz wird nun nicht, wie man nach der vorsichtigen, in
        Tropus I und H entwickelten Kelation des Gefühls zur Empfindung
        vielleicht vermuthen möchte, auf  die Verschiedenartigkeit der sinn-
        lichen Empfindungen und aus   diesen auf die Unerkennbarkeit der
        Dinge geschlossen.  Das ging nicht an, weil man auf diesem Wege
        nur  auf  die Thatsache  gestoßen  wäre, dass Geschmack, Geruch,
        Gesicht in getrennten Empfindungen nicht die nämlichen Eigenschaften
        eines Dinges  wiedergeben,  woraus  sich  die Unerkennbarkeit  der

           1) P. I, 92.
           2) Das  -^156 und a-qUi bedeutet nämlich zweifellos, wie Stephanus, dem
        Pappenheim folgt, schon hervorhob, hier nicht süß — nichtsüß, sondern lust-
        •— unlustvoll.
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