Page 426 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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414 A. Vierkandt.
auch von einer »Freude am Besser-Können« sprechen darfi). Diese
Freude am Können begünstigt die Erhaltung der vorhandenen Cultur-
formen offenbar deswegen, weil diese Formen jener Kegung einen
bequemen Stoff zur Verfügung stellen. Sie stellen ja gleichsam feste
Bahnen dar, in denen die menschliche Energie sich deswegen mit
Vorliebe ergießt, weil in ihnen der in Rede stehende Affect am leich-
testen seine Befriedigung findet. Besonders für das erste Ausüben
einer fest geregelten Thätigkeit, mag sie nun sportlicher oder beruf-
licher Art sein, kommt dieser Factor in Betracht. Auch die an sich
wegen ihrer Einförmigkeit und Unselbständigkeit wenig Befriedigung
gewährenden Erwerbs- und Berufsarten werden in der ersten Zeit
von den Meisten, die sich ihnen widmen^ weil die Thätigkeit inner-
halb ihres Rahmens dem Selbstgefühl G-enüge leistet, mit einer ge-
wissen Neigung ausgeübt. Und auch bei allen mit dauernder Be-
friedigung verknüpften Berufen pflegt eben deswegen die Lust zu
ihnen am Anfange besonders groß zu sein.
3) Mangel an Initiative. Es handelt sich hier um eine That-
sache, die man auch als Mangel an Spontaneität bezeichnen könnte
— um die Thatsache nämlich, dass das menschliche Denken und
Handeln im allgemeinen die gewohnten Pfade vor neuen bevorzugt,
neue nur widerwillig, selten und unter Anstrengungen beschreitet.
"Wir gewahren diesen Mangel nicht nur bei den Naturvölkern, wo
er sich u. a. darin äußert, dass der Culturschatz eines Stammes viel
häufiger durch Entlehnung fremder als durch eigene Schöpfung neuer
Culturgüter bereichert wird, sondern auch noch auf der Höhe unserer
Cultur z. B. in der Unfähigkeit des Durchschnittsmenschen zum an-
dauernden logischen Denken, wie wir sie tagtäglich im Gespräch um
uns beobachten können. Sein logisches Niveau ist bekanntlich durch-
weg sehr niedrig, nicht bloß bei Männern, die überhaupt nicht logisch
geschult sind, sondern auch bei solchen, die innerhalb ihres Berufes
höheren Anforderungen genügen, außerhalb seiner aber sofort eine
Stufe sinken, derart, dass ihre logische Leistungsfähigkeit gleichsam
nur als eine angelernte äußere Fertigkeit, als ein vorübergehend
1) Vgl. Karl Groos, Die Spiele der Thiere. S. 294—296. Karl Groos,
Die Spiele der Menschen. S. 248 ff. und S. 498.