Page 563 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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              Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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      deren entsprechende Eeize simultan dargeboten sind. Wie schon
      von Wund
                t  in Betreff der Bildungen solcher Reihenvorstellungen er-
      wähnt wurde, ist hierbei der Verlauf einer jeden Einzelvorstellung von
      wesentlicher Bedeutung, wie er auch ohne Rücksicht auf deren Ein-
                                                            dass  diese
      beziehung in ein solches Ganze das sichere Bewusstsein,
      Vorstellung ehemals da war, mit der Zeit immer mehr verblassen
      lässt.  Es würde ja für diese Umfangsbestimmung nicht genügen, dass
      wir in einem beliebigen Momente eme eindeutig bestimmte Gesammt-
      vorstellung in uns tragen können, welche ganz genau einer bestimmten
      Anzahl  von  ReihengHedem   ohne  einfache Abzahlung  entspricht.
      Dieses Bewusstsein muss auch   das sichere Wissen von einem
      thatsächlichen Verlauf      einer  solchen   ganz bestimmten

      Reihe in sich tragen, und gerade hierzu ist schon, wenn wir nur ein
      und die nämliche Reihe an und für sich ins Auge fassen, eine nicht
      zu  große  zeitliche Feme  der Glieder nothwendig, sobald  es  sich
      um  eine Reihe aus lauter gleichen Elementen handelt, welche der

      gegenseitigen Verwechselung in der Erinnerung bei mangelnder Klar-
      heit außerordentlich zugänglich  sind.  Bei allen zu langen Reihen
      geht also diese Unsicherheit des Wissens, ob  eine bestimmte, wenn
      auch nicht abgezählte Gruppe von Gliedern wirklich gehört oder nur
      noch  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  angenommen werden
      müsse, fortwährend mit der Unklarheit auf Grund des beschränkten
      Bewusstseinsumfanges Hand in Hand.   Dazu kommt aber nun noch
      die  besondere Herabminderung  der Sicherheit des Wissens, welche
      auch bei einer an sich kürzeren Reihe während der Dauer der
      zweiten Vergleichsreihe eintritt.    Denn da es für uns auf die
      Festhaltung der eindeutigen Gesammtvorstellung bis zum Ende der
     zweiten Reihe ankommt,    so  wird  es  nichts  helfen, wenn eine be-
      stimmte Reihe am Ende der ersten Reihe in ihrem ganzen Bestände
      noch sicher in der Erinnerung  ist.  Allerdings  ist der Gedächtniss-
     verlust nicht ein derartiger, wie er früher bei den tachistoskopischen
      Versuchen  für  die unklaren Elemente deshalb zugestanden werden
     musste, weil die Erinnerung der Klarheit im unmittelbaren Erleben
      entspricht.  Letztere  ist  ja  in unserem  Falle  bei  der  intensiven
     Beachtung   jedes  neuen  Tactschlages immer  maximal.   Viehuehr
      kommt nur die Zeitdauer bis zur Reproduction und erst seoundär die
      Zahl der gehörten Elemente in Betracht.  Dies genügt aber eben, um
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