Page 558 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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546                       Wilhelm Wirth.
      Zählen unmittelbar und eindeutig gegenwärtig sein kann.  Dass die
      Dauer der Reihe hierbei  relativ gleichgültig  ist,  ersieht man auch
      am unmittelbarsten daraus, dass  die Vergleichsreihe im Ganzen  ein
      von der Normalreihe ziemlich abweichendes Tempo    einhalten  darf,
      ohne dass die Sicherheit oder Richtigkeit des Vergleichsurtheiles oder
      das Bewusstsein seiner Unmittelbarkeit innerhalb der sonstigen Grrenzen
      wesenthch  beeinträchtigt  würde.  Die  Yergleichsreihe  wird  ohne
      weiteres  als ritardando  oder accelerato der  ersten  aufgefasst und
      richtig wiedererkannt. ^)  Jeder Tactschlag kommt also nur  als  ein-
      heitliches Element überhaupt zur Geltung, und das nämliche gilt für
      etwaige Gruppenbildungen, deren Bedeutung weiter unten noch aus-
      führlicher zur Sprache kommen  soll.  Doch wird sich umgekehrt die
      Beachtung und Vergleichung eines Ganzen hinsichtlich der Zeitdauer
      auf  einen ähnhchen Vorgang    der Herausbildung  einer Gesammt-
      vorstellung zurückführen lassen, welche das Bewusstsein in verschie-
      denem Umfange in Anspruch nimmt.     Die innere Structur dieser ex-
      tensiven Vorstellung, welche nur die  eigenartige Beziehung der Ele-
      mente zu einander angeht, hat ja für unsere Frage ebenso wie   bei
      der simultanen Raumvorstellung erst eine secundäre Bedeutung.  Sie
      bezieht sich nur auf  die Frage der Gliederung €es gesammten Be-
      wusstseinsinhaltes, nicht auf den gesammten Umfang und die mögliche
      »Gesammtsumme« der Bewusstseinsgrade,   (vergl. Einl. S. 494) welche
      auf diese Gliederung vertheilt sind.  Für unsere Umfangsfrage kommt
      also nur  in Betracht,  dass  thatsächlich auch  bei  der Gesammt-
      vorstellung  der  größten  absoluten Dauer,  die  wir  in  einer Zeit-
      vorstellung durch Festhalten bestimmter Grenzen zu umfassen ver-
      mögen, ein ebenso unmittelbares Vergleichsurtheil, nur eben mit einer
      entsprechend großen Unterschiedsschwelle möglich  ist, wie beim Ver-
      gleich beliebiger Tactreihen und dergleichen.  Alles reflective Durch-
      laufen der in Betracht kommenden Streckeö, das bei entsprechender
      Größe der Strecke zur Ermöglichung des Vergleiches vorgenommen
      werden muss,  ist nur erst eineVorbereitung für den eigentlichen
      Vergleichsact.  Diese Vermittelungsvorgänge werden wohl auch immer


         1) Natürlich bestehen in jeder solchen Abweichung auch Erleichterungen ge-
      wisser Fehler, da nichts völlig ohne Gefahr von Nebenwirkungen auf das Uebrige
      variirt werden kann. Doch beweist dies natürlich nichts für die principielle Isolir-
      barkeit des Hauptgesichtspunktes der Takt menge.
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