Page 557 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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Vergleichsurtheil der Beweis für eine simultane Gesammtvorstellung
der zuerst gehörten Reihe, i)
Diese Ausführungen zeigen also, dass die präcisere Beurtheilung
bis zu den gefundenen Grenzen nicht darauf beruht, dass nur so
viele Einzelelemente überhaupt im Bewusstsein möglich seien, es sind
vielmehr nur so viele Elemente gleichzeitig mit demjenigen mittleren
Klarheitsgrade möghch, wie sie für diese besondere Leistung des
Vergleiches erforderhch sind. Diese Auftheilung des Bewusstseins in
eine immer umfassendere Vorstellung eines zeitlichen Verlaufes und
die entsprechenden Folgen für die Klarheit der betheihgten Reihen-
elemente ist ebenfalls von "Wundt bei der Betrachtung der deutlich
erkennbaren Beziehungen analysirt worden, welche zwischen den Ver-
gleichsresultaten bei Beurtheilung von Tactreihen und den eigenthchen
Zeitvergleichungen bestehen. Auch bei der Präcision der Zeitvor-
stellung muss der Umfang des Bewusstseins sich fühlbar machen.
Mit jener Beziehung ist zwar natürlich nicht gemeint, dass es sich
bei der in diesem Capitel behandelten Umfangsbestimmung durch
Tactreihen um eine Betrachtung der beiden Reihen hinsichtlich
ihrer Dauer handle. Beide Reihen werden eben nicht auf ihre Dauer,
sondern auf die (irgendwie simultan vorgestellte, nicht abgezählte)
Menge ihrer Elemente hin vergHchen, so wie diese Reihe eben wegen
der Befähigung zu derartigen Reihenvorstellungen überhaupt ohne
hinsichtlich der Grade eines gemeinsamen Merkmales, etwa der Helligkeit ver-
gleichen lassen und zunächst von zu geringen Helligkeitsdifferenzen ausgehen.
Das Gemeinsame und Vergleichbare tritt in diesem Falle hinter den hervor-
springenden Unterschieden zu sehr zurück, hier also hinter der Zeitlage u. s. w.
Man wird somit die gewünschte Unmittelbarkeit des Vergleichsurtheiles dann am
sichersten erleben, wenn man von vorne herein hinreichende objective Differenzen
wählt.
1) Die constante Unterschätzung der vorangegangenen Keihe, welche hierbei
im allgemeinen zu constatiren ist, bleibt für unsere specielle Frage hier natüriich
ebenso außer Betracht wie z. B. bei den Cattell'schen Versuchen die bereits
erwähnte Thatsache, dass die Anzahl der Striche im allgemeinen eine Unter-
schätzung erfährt, sobald die Zahl der klar erfassbaren Einheiten überschritten ist.
Es kommt also nur der mittlere Schätzungswerth für die Vergleichung in Betracht.
Seiner Abweichung von der thatsächlichen Anzahl liegt auch hier die Erklärung
nahe, dass einfach die am wenigsten klaren Elemente gewissermaßen auch für die
inhaltliche Quantität in Wegfall kommen; doch kann natürlich ebenso wenig wie
dort an eine Reduction auf den sicher beherrschten Umfang gedacht werden.
Wundt, Philos. Studien. XX. 35