Page 106 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Tragödie herstellen würdenWenn am Schlusse des »Gastmahles« Plato
die Ansicht ausspricht (aber sie ohne alle nähere Begründung nur
gelegentlich einstreut), daß es gerade Sache Ein und des nemlichen
Mannes sei, eine Tragödie und eine Komödie zu dichten, so wird es wohl
schwer sein, diesen Selbstwiderspruch zu lösen; denn wollten wir selbst
an hiesiger Stelle uns dahin flüchten, daß etwa nur von den
Schauspielern, nicht aber von den Dichtern die Rede sei, so bleibt ja
doch das platonische Motiv der völligen Arbeitsteilung als ein
allgemeines auch für die Poesie gültig, und es bliebe nur übrig, daß
Sokrates im Gastmahle eben einmal die innige Verwandtschaft zweier
Dichtungsarten, auf deren Unterschied hier hingewiesen ist, habe stärker
hervorheben wollen.; oder nanntest du diese beiden nicht so eben
Gegenstande der Nachahmung? – Ja gewiß, und du sprichst auch wahr,
daß nicht die Nemlichen beides können. – Aber es sind ja auch nicht
Volkssänger und zugleich Schauspieler die Nemlichen. – Es ist wahr. –
Aber ja auch nicht die Schauspieler sind für die Komödien und die
Tragödien die nemlichen; all dieses aber sind Gegenstande der
Nachahmung; oder nicht? – Ja, Gegenstände der Nachahmung. – Und
auch noch in kleinere Theile als diese, o Adeimantos, scheint mir die
Begabung des Menschen gespalten zu sein, so daß er unfähig ist, Vieles
gut nachzuahmen oder jenes selbst zu vollführen, dessen
Verähnlichungen eben die Nachahmungen sind. – Sehr wahr, sagte er. –
8. Wenn wir also unsere ursprüngliche Begründung B. II, Cap. 14.
bewahrt wissen wollen, daß uns die Wächter, von allen übrigen
Werkthätigkeiten entledigt, nur die Werkmeister der Freiheit des Staates
in vollster Genauigkeit sein und nichts Anderes betreiben sollen, was
nicht auf dieß hin führt, so dürfen sie wohl demnach nichts
Anderweitiges vollführen oder nachahmen; wann sie aber Etwas
nachahmen, so sollen sie gleich von Jugend an das hiezu Gebührende
nachahmen, nemlich tapfere, besonnene, frevellose, freie Männer und
überhaupt das Derartige, das Unfreie hingegen sollen sie weder ausüben
noch gewandt sein, es nachzuahmen, und auch überhaupt nichts
Schimpfliches, damit sie nicht von der Nachahmung das wirkliche Sein
als Gewinn davontragen; oder hast du etwa nicht bemerkt, daß die
Nachahmungen, wenn sie von Jugend auf weit hinaus fortdauern, in die
Gewohnheiten und in die Begabung selbst eintreten, sowohl bezüglich
des Körpers, als auch bezüglich der Stimme, als auch bezüglich der
Gedanken? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Nicht also werden wir es
gestatten, sagte ich, daß diejenigen, um welche wir uns bekümmern und
welche zufolge unserer Behauptung gute Männer werden sollen, ein
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