Page 112 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 112

kriegerische Männer irgend anwenden können? – In keiner Weise, sagte
                er; aber es kömmt darauf hinaus, daß dir nur die dorische und die
                phrygische übrig bleiben. – Ich kenne, sagte ich, die Tonweisen nicht

                selbst; aber laß du nur eben jene Tonweise übrig, welche die Töne und
                die Ausrufe eines tapferen Mannes in passender Weise nachahmt, sowohl
                wenn dieselbe in kriegerischem Thun und in jeder anderen
                gewaltmäßigen Werkthätigkeit begriffen ist, als auch wenn er sein Ziel
                nicht erreicht und in Wunden und Tod geht oder in irgend ein anderes
                Mißgeschick geräth, bei all diesem aber fest auf seinem Posten bleibt
                und mit Ausdauer gegen das Geschick sich wehrt; und hinwiederum

                auch noch eine zweite Tonart für den Fall, daß er in friedlichem und
                nicht gewaltmäßigem, sondern freiwilligem Thun begriffen ist, indem er
                entweder irgend Einen überredet und bittet, sei es einen Gott durch
                Gebet, oder einen Menschen durch Belehrung und Ermahnung, oder im
                Gegentheile einem anderen ihn bittenden oder Belehrenden oder
                Ueberredenden sich selbst hingibt, und in Folge hievon nach seinem

                Sinne handelt, und nicht übermüthig sich verhält, sondern besonnen und
                mit richtigem Maße bei all diesem verfährt und bei dem Erfolge sich
                begnügt. Diese beiden Tonweisen, eine gewaltmäßige und eine
                freiwillige, welche die Töne der unglücklichen und der glücklichen
                Männer, welche besonnen und tapfer sind, am schönsten nachahmen,
                diese beiden also laß mir übrig. – Aber, sagte er, du willst hiemit keine
                anderen übrig gelassen wissen, als eben jene zwei, welche ich so eben

                nannte. – Nicht also, sprach ich, werden wir einen Reichthum an Saiten
                oder eine Vereinigung aller Tonweisen in den Gesängen und Liedern
                bedürfen. – Es zeigt sich mir, sagte er, daß wir Solches nicht bedürfen. –
                Die Verfertiger also jener Formen, welche wir Trigonon und PektisDas
                Trigonon war ein Saiteninstrument von dreieckiger Form (ähnlich
                unseren Harfen), mit vielen Saiten verschiedener Länge bespannt; von

                der Pektis wissen wir, daß sie zwanzig Saiten hatte und mit beiden
                Händen gespielt wurde. nennen, und aller jener Instrumente, welche
                viele Saiten haben und zu mannigfaltigen Tonweisen passen, werden wir
                in unserem Staate nicht ernähren. – Es zeigt sich, daß wir dieß nicht thun
                werden. – Wie aber? wirst du etwa Flöten-Verfertiger oder Flötenbläser
                in den Staat aufnehmen wollen? oder ist dieß nicht eben das tonreichste
                Instrument, und sind nicht gerade jene Vereinigungen aller Tonweisen

                nur Nachahmungen der Flöte? – Dieß ist ja klar, sagte er. – Die Lyra
                demnach und die Kithara, sagte ich, bleiben dir übrig, und diese sind
                bezüglich des Staates brauchbar, und hinwiederum auf dem Lande für
                die Hirten möchte es wohl eine Art einfacher Rohrpfeifen geben. – Ja,





                                                          111
   107   108   109   110   111   112   113   114   115   116   117