Page 115 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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jede Herstellung der übrigen Geräthe, ferner aber auch die Natur der
Leiber und selbst anderweitig die der Pflanzen; denn in all diesem gibt es
eine Wohlanständigkeit und eine Unanständigkeit, und die
Unanständigkeit und schlechter Rhythmus und schlechte Harmonie sind
Geschwisterte der schlechten Rede und des schlechten Gemüthes, die
gegenteiligen Eigenschaften aber sind Geschwisterte und Nachahmungen
des Gegenteiligen, nemlich des besonnenen und guten Gemüthes. – Ja,
völlig so, sagte er. –
12. Müssen wir also nur die Dichter allein beaufsichtigen und dabei
nöthigen, entweder das Bild des guten Charakters ihren Gedichten
einzupflanzen oder bei uns sich der Dichtung zu enthalten, oder müssen
wir auch die übrigen Werkmeister beaufsichtigen und sie hindern, daß sie
jenes Bösartige und Zügellose und Sklavische und Unanständige etwa in
Bildern von Thieren oder in Gebäuden oder in irgend einem anderen
Werke ihrer Kunst einpflanzen, oder aber darf, wer nicht befähigt ist, bei
uns zur Werkthätigkeit gar nicht zugelassen werden, damit nicht unsere
Wächter in Bildern der Schlechtigkeit erzogen, gleichsam wie bei
schlechtem Grasfutter jeden Tag Vieles allmälig von Vielem abpflückend
und verzehrend, zulegt unbemerkt irgend Ein großes Uebel in ihrer
eigenen Seele aufpflanzen; sondern müssen wir vielmehr jene
Werkmeister aufsuchen, welche in guter Begabung die Fähigkeit haben,
die Natur des Schönen und Anständigen aufzuspüren, damit die jungen
Leute, gleichsam wie in einer gesunden Gegend wohnend, von
Jeglichem Nutzen erfahren, woher nur an sie von schönen Thaten, sei es
zum Anblicke oder sei es zum Gehöre, gleichsam eine Luftströmung
herandringt, welche von trefflichen Gegenden her Gesundheit bringt, und
sogleich von Kindheit an unvermerkt zur Aehnlichkeit mit den guten
mündlichen Aussprüchen und zur Liebe zu denselben und zum
Einklange mit ihnen führt? – Ja, bei weitem wohl am schönsten, sagte er,
würden sie auf diese Weise erzogen. – Ist also wohl, o Glaukon, sprach
ich, um dieser Dinge willen die Erziehung in musischer Bildung die
bedeutendste, weil zumeist in das Innere der Seele der Rhythmus und die
Tonweise eindringen und am stärksten sie ergreifen, wenn sie
Wohlanständigkeit mit sich bringen, und sie selbst zu einer
wohlanständigen machen, woferne Jemand richtig erzogen ist, woferne
aber nicht, das Gegentheil bewirken; und weil hinwiederum auch
dasjenige, was hinter dem Ziele zurückbleibt und nicht trefflich
gearbeitet oder nicht trefflich von Natur aus entstanden ist, wohl Jener
am schärfsten herausfühlt, welcher dort, wie es sein soll, erzogen wurde,
und ein Solcher denn auch in richtigem Mißbehagen über jenes das
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