Page 120 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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freie Männer in hohem Grade auf jenes ihr Streben gerichtet haben? –
                Warum sollte es auch nicht so sein? –
                     14. Könntest du aber von schlechter und schimpflicher Erziehung in

                einem Staate irgend ein größeres Kennzeichen erfassen, als wenn das
                Bedürfniß nach hervorragenden Aerzten und Richtern nicht bloß
                bezüglich der Geringen und der Handarbeiter, sondern auch bezüglich
                derjenigen besteht, welche Anspruch darauf machen, in den Formen des
                freien Mannes erzogen zu sein; oder scheint es dir nicht schimpflich und
                ein großes Zeichen eines Mangels an Erziehung zu sein, wenn man
                gezwungen ist, ein von anderen Leuten, wie von Gebietern und Richtern,

                erst herbeigebrachtes Gerechtes, und zwar aus Mangel an eigenem,
                anwenden zu müssen? – Ja wohl, von Allem, sagte er, ist dieß das
                Schändlichste. – Scheint dir aber etwa, sprach ich, noch schimpflicher
                als dieß es zu sein, wenn Jemand nicht bloß den größeren Theil seines
                Lebens in Gerichtshöfen als Beklagter oder als Kläger zubringt, sondern
                auch aus Unkenntniß des Schönen eben damit sich zu brüsten sich

                entschlossen hat, daß er gewandt sei im Unrechtthun und tüchtig genug,
                um sich in allen Windungen zu winden und bei allen Hinterthürchen
                entschlüpfend sich wohlberechnet durchzuwinden, so daß er nie Buße zu
                bezahlen hat, und noch dazu all dieß um unbedeutender und
                nichtswürdiger Dinge willen, er, der nicht weiß, um wie viel schöner und
                besser es sei, sein Leben so einzurichten, daß man eines schlaftrunkenen
                RichtersAristophanes schilderte bekanntlich in seinen »Wespen« jene mit

                dem Treiben der attischen Demagogen zusammenhängende Proceßwuth
                der Athener, und es wird dortselbst V. 986 ff. in der komischsten
                Situation dargestellt, wie der auf Richteramt erpichte Philokleon durch
                eigene Unachtsamkeit wider Willen ein freisprechendes Urtheil fällt.
                nicht bedarf? – Gewiß, sagte er, ist dieß noch schimpflicher als jenes. –
                Wenn man aber, sprach ich, die Arzneikunst nicht etwa wegen

                eingetretener Verwundungen oder irgend im Jahreswechsel beruhender
                Krankheiten bedarf, sondern in Folge des Müssigganges und einer
                Lebensweise, wie wir sie so eben durchgingen, man wegen eingetretener
                Strömungen und Winde gleichwie bei angeschwollenen Sümpfen die
                fein gebildeten AsklepiadenS. m. Anm. 24 z. Gastmahl. nöthigt, solchen
                Krankheiten neue Namen, wie z. B. Blähungen und Schnupfen, zu
                geben, scheint dieß nicht schimpflich? – Ja wohl, gar sehr, sagte er, da

                dieß ja auch wirklich neue und ungereimte Namen von Krankheiten sind.
                – Namen, sagte ich, wie sie es, glaube ich, zur Zeit des Asklepios noch
                nicht gab; ich schließe dieß aber daraus, daß die Söhne desselben vor
                Troja bezüglich des verwundeten Eurypylus jenen Trank von





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