Page 230 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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vgl. Phädon Cap. 17 u. 62. auf derartige Bedingungen stoßen werden. –
Eine Kleinigkeit ja, sagte er, ist diese Spanne Zeit, von der du da
sprichst. – Allerdings, erwiederte ich, ist sie so viel wie Nichts im
Vergleiche mit der gesammten Zeit. Jedoch daß die Meisten durch das
Gesagte nicht überzeugt werden, ist nicht zu wundern; denn sie sahen
noch niemals, daß, was wir jetzt da sagen, wirklich eingetreten sei,
sondern wohl weit eher, daß irgend derartige Worte absichtlich in ihrer
Ähnlichkeit neben einander hingestellt wurden und nicht so ganz von
selbst, wie jetzt bei uns, in Eins zusammentrafenD. h. man stellt
gewöhnlich Vortrefflichkeit (oder Weisheit) und politische Thätigkeit
(oder Herrschaft) nebeneinander, um sie zu vergleichen und dabei auch
ihren Unterschied zu erkennen; daß hingegen ganz von selbst dieß
Beiderseitige in Eins zusammenfalle und hiemit der Ausspruch, die
Philosophen seien an sich die Herrschenden, sich irgend verwirklicht
finde, hat man noch nie erlebt.; hingegen daß ein Mann, welcher bis zur
Gränze des Möglichen in Wort und That vollkommen der Vortrefflichkeit
gleichkömmt und ihr ähnlich ist, auch der Herrscher in einem Staate von
eben der nemlichen Beschaffenheit sei, haben sie noch niemals gesehen,
weder bei Einem, noch bei mehreren Männern. – Gewiß in keiner Weise.
– Aber ja auch Begründungen solcher Art, o du Hochzupreisender,
nemlich so herrliche und so freie, haben sie nicht in genügender Weise
mitangehört, welche nemlich den Gehalt haben, die Wahrheit in
angespannter Aufmerksamkeit auf jede mögliche Weise um der Einsicht
willen zu suchen, mit all jenem aber Nichts zu schaffen haben wollen,
was fein gedrechselt und streitsüchtig ist und auf Nichts anderes, als auf
die Meinung und auf den Streit sowohl in Gerichtshändeln, als auch im
Verkehre der Einzelnen abzielt. – Allerdings auch diese haben sie nicht
gehört, sagte er. – Um dessen willen, sprach ich, und in Voraussicht
hievon haben wir auch damals B. V, Cap. 18. zwar mit Furcht, aber
dennoch, durch die Wahrheit selbst genöthigt, es gesagt, daß weder ein
Staat, noch eine Staatsverfassung, noch auch in gleicher Weise ein
einzelner Mann jemals zur Vollkommenheit gelangen könne, bevor
diesen Weisheitsliebenden, welche jetzt als die Wenigen und nicht
Schlechten, jedenfalls aber Unbrauchbaren bezeichnet werden, irgend
durch einen Zufall eine Nothwendigkeit erwächst, mögen sie wollen oder
nicht, für einen Staat zu sorgen und dem Staate ihr Gehör zu leihen, oder
bevor in die Söhne der jetzigen Machthaber und Könige oder in diese
selbst durch irgend einen göttlichen Hauch ein Streben nach wahrhafter
Weisheitsliebe kömmt. Bei welchem von diesen beiden aber, oder ob bei
beiden das wirkliche Eintreten völlig unmöglich sei, dafür behaupte ich
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