Page 227 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Verderbern gemäß seiner Natur bei der Weisheitsliebe verharrt, oder sei
                es, wenn in einem kleinen Staate ein großer Geist geboren wird und
                derselbe die staatlichen Verhältnisse verachtet und über sie hinwegsieht;

                irgend ein kleiner Theil aber möchte es wohl auch sein, welcher von
                anderen Künsten hinweg in gerechter Verachtung derselben mit guter
                Begabung zur Weisheitsliebe sich wenden würde; es möchte aber
                vielleicht auch jener Zügel, welchen unser Freund TheagesEin treuer
                Anhänger des Sokrates; nach seinem Namen erhielt ein Dialog die
                Ueberschrift, welcher den platonischen eingereiht wurde, aber als unächt
                zu bezeichnen ist. an sich trägt, im Stande sein, Jemanden festzubannen;

                denn auch bei Theages ist alles Uebrige in einem solchen Zustande, daß
                er von der Weisheitsliebe abfallen würde, aber die Pflege seines
                kränklichen Körpers hält ihn von staatlichen Dingen ferne und bannt ihn
                fest; von unserem eigenen Zustande aber zu sprechen, ist nicht der Mühe
                werth, nemlich von jener dämonischen WarnungsstimmeUeber das
                Dämonion des Sokrates s. m. Uebers. d. gr. Ph. S. 51 f.; denn eine solche

                ist unter den Früheren entweder nur einigen Wenigen oder vielmehr gar
                keinem Anderen zu Theil geworden. Und wer denn nun unter diesen
                Wenigen wirklich kostet oder schon gekostet hat, wie süß und beseligend
                jener Besitz sei, und hinwiederum den Wahnsinn der Menge genügend
                durchschaut, sowie auch daß kein Einziger, so zu sagen, irgend etwas
                Gesundes bezüglich der staatlichen Verhältnisse verübt, und es auch
                nicht einmal einen Bundesgenossen gibt, mit welchem man zur

                Hülfeleistung für das Gerechte sich auf den Weg machen und dabei
                gerettet werden könnte, sondern daß er selbst wie ein Mensch unter
                Thiere gerathen sei und dort, weil er weder gemeinschaftlich mit ihnen
                Unrechtes thun wolle, noch auch er der Einzige allen Wilden das
                Gegengewicht zu halten vermöge, sicher noch eher, als er dem Staate
                oder den Freunden irgend genügt habe, selbst zu Grunde gehen werde,

                als ein Nutzloser für sich selbst und für die Uebrigen, – also all dieses
                wenn er in vernünftiger Erwägung erfaßt, so wird er Ruhe halten und das
                Seinige thun, gleichsam wie in dem Sturme eines vom Winde
                aufgeregten Staubwirbels und Unwetters an eine Mauer hintretend, und
                indem er sieht, wie die Uebrigen von Ungesetzlichkeit erfüllt sind, wird
                er sich dabei begnügen, wenn er selbst rein von Ungerechtigkeit und
                unerlaubten Thaten sowohl sein hiesiges Leben führt, als auch bei dem

                Abscheiden aus ihm mit herrlicher Hoffnung heiter und wohlgemuth
                abscheidet. – Wahrhaftig aber, sagte er, nicht Geringes ja hätte er auch
                vollbracht um dann abzuscheiden. – Aber ja auch nicht das Größte,
                erwiederte ich, woferne er nicht einen ihm gebührenden Staat gefunden





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