Page 231 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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keinen Grund zu finden; denn dann wohl würden wir mit Recht verlacht,
                daß wir zwecklos Dinge sprächen, welche frommen Wünschen ähnlich
                wären. Oder ist es nicht so? – Ja, es ist so. – Wenn demnach für die in

                der Weisheitsliebe Hervorragenden irgend eine Nothwendigkeit, daß sie
                für einen Staat sorgen, entweder irgend einmal in der unbegränzt langen
                vergangenen Zeit bestand, oder auch gegenwärtig in irgend einer nicht-
                hellenischen Gegend besteht, welche wohl weit außerhalb unseres
                Gesichtskreises liegt, oder etwa auch dereinst einmal bestehen wird, so
                sind wir bereit, hiefür in unserer Begründung zu kämpfen, daß dann
                dieser unser Staat bestand oder besteht oder bestehen wird, wann

                nemlich diese unsere Muse die Oberhand über einen Staat gewonnen
                haben wird; denn unmöglich ist es nicht, daß er entstehe, und auch wir
                sagen nicht Unmögliches, als etwas Schwieriges aber wird es auch von
                uns zugestanden. – Auch mir, sagte er, scheint es so zu sein. – Daß es
                aber der Menge, erwiederte ich, hinwiederum nicht so scheine, wirst du
                wohl sagen? – Ja, vielleicht, sagte er. – O du Hochzupreisender, sprach

                ich, klage doch die Menge nicht so sehr an; jene werden ja eine andere
                Meinung fassen, wenn du ihnen, und zwar nicht in Streitsucht, sondern
                in freundlicher Zusprache und mit Widerlegung der Verleumdung des
                Vielwissens, erst nachweisest, welche Menschen du Weisheitsliebende
                nennest, und die Begabung und Thätigkeit derselben, wie wir so eben
                thaten, feststellst, damit sie eben nicht mehr glauben, du sprechest von
                jenen, welche sie dabei im Sinne hatten. Wahrlich ja, wenn sie es auf

                diese Weise betrachten, wirst du selbst sagen, daß sie eine andere
                Meinung erfassen und uns anders antworten werden; oder glaubst du,
                daß Jemand zürnen werde dem nicht Zürnenden, oder mißgünstig sein
                werde gegen den nicht Mißgünstigen, woferne jener selbst ohne
                Mißgunst und sanftmüthig ist? Ich will nemlich mit der Antwort dir
                zuvorkommen und selbst sagen, daß ich glaube, es finde sich nur in

                irgend Wenigen, nicht aber in der Masse überhaupt eine so gefährliche
                Begabung. – Und ich nun, sagte er, glaube es zuverlässig gleichfalls. –
                Nicht wahr also, auch dieß glaubst du gleichfalls, daß an der
                gefährlichen Stimmung der Menge gegen die Weisheitsliebe eben
                Diejenigen die Schuld tragen, welche von Außen ungebührlich in
                dieselbe wie ein Schwarm Trunkener hereinstürmten und auf die
                Menschen schmähen und eine Freude an Gehässigkeit haben und immer

                nur über die Leute ihre Reden halten, eine Betriebsamkeit übend, welche
                am wenigsten der Weisheitsliebe ziemt. – Ja wohl, bei Weitem, sagte er.
                –







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