Page 237 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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einen Umriß betrachten, wie wir jetzt gethan, sondern man darf auch die
                vollendetste Verwirklichung derselben nicht übergehen; oder ist es nicht
                lächerlich, bei anderen Dingen von geringem Werthe alles Mögliche in

                gespannter Aufmerksamkeit zu thun, damit sie so genau und rein als
                möglich sich verhalten, bei dem Höchsten aber nicht auch die höchste
                Genauigkeit zu beanspruchen? – Gar sehr allerdings, sagte er, lohnt es
                sich des Nachdenkens; aber was du unter dem höchsten
                Unterrichtsgegenstande meinest und was er betreffe, darüber wirst du
                wohl nicht glauben, daß dich Jemand ungefragt entlasse? – Allerdings
                nicht, sagte ich, sondern frage auch nur du. Durchaus nicht selten zwar

                hast du es schon gehört, aber jetzt bedenkst du es entweder nicht, oder
                hinwiederum du gedenkst, mir durch Angriffe zu schaffen zu machen;
                ich glaube aber eher Letzteres, denn daß ja die Idee des Guten der
                höchste Unterrichtsgegenstand sei, hast du schon oft gehört, jene Idee
                nemlich, durch deren Beiziehung sowohl das Gerechte, als auch das
                Uebrige erst brauchbar und nützlich wird. Und auch jetzt weißst du so

                ziemlich schon, daß ich im Begriffe bin, eben sie zu nennen und auch
                hinzuzufügen, daß wir sie nicht genügend wissen; wenn wir aber sie
                nicht wissen, ist dir auch sehr wohl bekannt, daß, falls wir auch noch so
                sehr alles Uebrige wüßten, es uns Nichts nützen würde, sowie ja auch,
                wenn wir irgend ein Ding ohne das Gute besäßen; oder hältst du es für
                fördernd, allen möglichen Besitz erworben zu haben, nicht aber einen
                guten, oder alles Uebrige ohne das Gute im Denken zu erfassen, dabei

                aber eben nichts Schönes und nichts Gutes im Denken zu erfassen? –
                Nein, bei Gott, sagte er, ich gewiß nicht. –
                     17. Nun aber weißt du ja auch das, daß der Menge das Vergnügen das
                Gute zu sein scheint, den feineren Leuten aber das Denken? – Warum
                auch nicht? – Und auch, daß ja, mein Freund, diejenigen, welche der
                letzteren Ansicht sind, nicht nachzuweisen vermögen, welches Denken

                das Gute sei, sondern zuletzt genöthigt werden, zu sagen, das des Guten
                sei es. – Ja wohl, in sehr lächerlicher Weise, sagte er. – Wie sollte es
                auch nicht lächerlich sein, sprach ich, wenn sie uns schmähen, daß wir
                das Gute nicht wissen, und dabei zugleich mit uns so sprechen, als
                wüßten wir es; sie sagen nemlich, es sei eben das Denken eines Guten,
                gerade als verstünden wir hinwiederum, was sie meinen, sobald sie nur
                den Namen des Guten aussprechen. – Völlig wahr, sagte er. – Wie aber

                nun? sind diejenigen, welche das Vergnügen als ein Gut aufstellen, etwa
                eines geringeren Irrthumes voll als jene Anderen? oder werden nicht
                auch diese genöthigt, zuzugestehen, daß es schlimme Vergnügungen
                gebe? – Ja, in hohem Grade. – Es ergibt sich ihnen also, glaube ich, daß





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