Page 277 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 277
er das Verhältniß der Fälschung nicht wußte, und dann hinwiederum in
jener Zeit, in welcher er es wußte? oder wünschest du, wenn ich es ahne,
es von mir zu hören? – Dieß wünsche ich, sagte er. – Ich ahne also,
sprach ich, daß er zunächst diejenigen, welche ihm als sein Vater und als
seine Mutter und als seine übrigen Angehörigen erscheinen, mehr ehren
werde, als die Schmeichler, und bei ersteren es viel weniger übersehen
werde, wenn sie irgend Mangel leiden, und viel weniger auch in großen
Dingen ihnen ungehorsam sein werde, als den Schmeichlern, nemlich all
dieß in jener Zeit, in welcher er das wahre Verhältniß nicht weiß. – Ja, so
scheint es, sagte er. – Hat er aber demnach das Wirkliche bemerkt, so
ahne ich hinwiederum, daß er dann in Bezug auf jene mit den
Ehrenbezeugungen und dem Eifer nachlassen, gegen die Schmeichler
aber solches stärker üben und diesen im Vergleiche mit der früheren Zeit
ganz besonders gehorchen und bereits nach ihren Vorschriften leben
werde, mit ihnen völlig unverhüllt in Verkehr tretend, aber eben um
jenen Vater und die übrigen unächten Angehörigen sich, falls er von
Natur aus nicht sehr tüchtig ist, gar Nichts mehr bekümmern werde. –
All dieses, sagte er, möchte wohl, wie du es angibst, eintreten; aber in
welcher Beziehung steht denn dieses Gleichniß mit jenen, welche sich an
die Dialektik machen? – In folgender: Wir haben doch wohl von
Kindheit an irgend Ansichten über das Gerechte und Schöne, in welchen
wir gleichsam wie unter der Obhut von Eltern auferzogen wurden, indem
wir ihnen gehorchen und sie ehren. – Ja, wir haben solche. – Nicht wahr
also, auch anderweitige diesen entgegengesetzte Bestrebungen haben
wir, welche Vergnügungen in sich enthalten, die unserer Seele
schmeicheln und sie zu sich hin ziehen, aber die irgendwie Ordentlichen
nicht zu überreden vermögen, sondern Letztere ehren nur jenes
Väterliche und gehorchen ihm. – Ja, so ist es. – Wie aber nun? sagte ich;
wenn den sich so Verhaltenden eine Frage überrascht, welche da fragt,
was denn das Schöne sei, und ihn, da er zur Antwort geben wird, was er
vom Gesetzgeber gehört hat, dann die Begründung selbst widerlegt und
durch oftmalige und vielfache Widerlegung zuletzt zu der Ansicht bringt,
daß Solches nicht in höherem Grade schön, als auch schimpflich sei, und
ebenso betreffs des Gerechten und des Guten und alles desjenigen, was
er zumeist in Ehren gehalten hatte, wie glaubst du, daß er dann wohl sich
gegen jenes benehmen werde bezüglich einer Ehrenbezeugung und
bezüglich des Gehorsames? – Nothwendiger Weise, sagte er, muß er sie
weder in gleichem Grade ehren, noch ihnen gehorchen. – Wann er also,
sprach ich, einerseits dieß nicht mehr wie vordem für ehrwürdig und ihm
angehörig hält, und andrerseits das Wahre nicht finden kann, gibt es dann
276