Page 282 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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welchen es sich nemlich der Mühe lohne, sie zu berücksichtigen und ihre
Fehler, sowie hinwiederum die ihnen ähnlichen Menschen zu betrachten,
um sodann, nachdem wir sie sämmtlich betrachtet und uns über den
besten und den schlechtesten Menschen verständigt hätten, zu erwägen,
ob wirklich der beste der glücklichste und der schlechteste der
unglücklichste sei, oder es sich anders verhalte. Und als hiebei ich dich
fragte, welche Staatsverfassungen du unter jenen vieren meinest, da
fielen Polemarchos und Adeimantos in die Rede, und so denn faßtest du
dort deine Begründung wieder von Neuem auf und gelangtest nun bis
hieher. – Völlig richtig, sagte ich, behieltest du dieß im Gedächtnisse. –
Biete mir also, wie ein Ringer, wieder jenen nemlichen Angriffspunkt
dar und versuche auf meine jetzige Frage nun anzugeben, was du damals
schon im Begriffe warst zu sagen. – Ja, allerdings, sagte ich, wenn ich es
im Stande bin. – Und in der That nun, erwiederte er, ich bin auch
wirklich begierig zu hören, welche Staatsverfassungen du unter jenen
vieren meintest. – Nicht schwierig, sagte ich, ist es, dieß zu hören; denn
diejenigen, welche ich meine, sind eben jene, welche auch eigene Namen
tragen, nemlich die von Vielen gepriesene Kretische und Lakonische, die
zweite und in zweitem Range gepriesene, welche man Oligarchie nennt,
eine Staatsverfassung, welche von zahlreichen Uebeln strotzt; und dann
jene, welche mit dieser im Streite liegt und in der Reihe nach ihr kömmt,
die Demokratie, und sodann die wackere Gewaltherrschaft, welche von
all diesen sich unterscheidet, die vierte und äußerste Krankheit eines
Staates; oder weißst du irgend eine andere Gestaltung einer
Staatsverfassung zu nennen, welche auch in einer deutlich sichtbaren
Form beruht? nemlich die von Mehreren geübte Gewaltherrschaft und
käufliches Königthum und irgend derartige Staatsverfassungen liegen
wohl als Mittelglieder zwischen jenen, aber man möchte dieselben nicht
in geringerer Anzahl bei den Nicht-Hellenen, als bei den Hellenen
finden. – Ja, gar viele, und zwar ungereimte, sagte er, werden wohl
angeführt. –
2. Weißst du also, sagte ich, daß es auch eben so viele Formen der
Charaktere der Menschen geben muß, als es Formen der
Staatsverfassungen gibt? oder glaubst du, daß irgend aus einer Eiche
oder aus einem Felsen die Staatsverfassungen entstehenAnspielung auf
einen homerischen Vers, Odyss. XIX, V. 163., nicht aber aus den in den
Staaten bestehenden Sitten, wohin nemlich diese gleichsam wie in einer
Wagschale das Uebrige nach sich ziehen? – Keineswegs anderswoher,
sagte er, als eben von dort her. – Nicht wahr also, wenn die Formen der
Staaten fünf sind, so möchten wohl auch der Beschaffenheiten der Seele
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