Page 286 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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erreichbare Erklärung dessen in den Mund, wie das Wahre und Gute
                unter gewissen Bedingungen selbst im Wechsel der sterblichen Wesen
                bewahrt bleiben könne; d. h. Plato ist von der unverrückbaren

                Ueberzeugung durchdrungen, daß eine gewisse, wenn auch getrübte,
                Regelmäßigkeit und principielle Basis auch dem Gebiete des
                Vergänglichen einwohnen müsse, und ebenso unzweifelhaft schließt er
                sich in all derartigen Fragen an den Pythagoreismus an, indem er sicher
                glaubt, daß es eine mathematisch-astronomisch-musikalische Lösung all
                solcher Räthsel geben müsse, d. h. daß die in musikalischen Intervallen
                geregelten Umläufe der Gestirne in Verbindung mit arithmetischen und

                geometrischen Eigenthümlichkeiten der Dinge den letzten
                Erklärungsgrund im Gebiete des Wandelbaren ausmachen; und in
                solchem Sinne sucht er auch hier einen Zahlen-Ausdruck für den
                richtigen und wahren Zeitpunkt menschlicher Geburten, welcher ihm
                durch den Umlauf der Gestirne, sowie durch harmonische und
                stereometrische Verhältnisse bedingt ist. Ich möchte demnach etwa

                sagen, Plato habe sicher nicht um jeden Preis gerade jene zwei
                bestimmten Zahlen, welche wir nun sogleich entwickeln werden,
                festhalten wollen, aber wohl sei er der festesten Ueberzeugung gewesen,
                daß es irgend Zahlen geben müsse, welche in astronomischer und
                musikalischer und stereometrischer Beziehung den innersten Kern der
                wandelbaren, durch Zeugung entstandenen, Wesen ausdrücken; (ob ein
                solches Verfahren als ein philosophisches, und nicht vielmehr als ein

                mystisches bezeichnet werden müsse, ist eine andere Frage, deren
                Beantwortung hier überflüssig scheint; daß aber ein solches Verfahren
                wesentlich der platonischen Speculation eigentümlich ist, muß Jeder
                zugestehen, der von sich sagen will, daß er den Plato kenne; wer
                hingegen bei dieser Stelle einen Spott annimmt und von sokratischer
                Ironie spricht, ist kein Kenner Plato’s. selbst wenn er alle Werke

                desselben übersetzt hätte).
                     Was nun zweitens den Inhalt der symbolischen Zahl selbst betrifft, so
                geht Plato davon aus. daß es für alle lebenden Wesen gewisse Zeitpunkte
                der Fruchtbarkeit gebe, welche periodisch wiederkehren, und er sucht
                dann (nachdem er die eigentlich göttlichen Geburten als schlechthin
                vollkommene von vornherein ausgeschieden hat) bezüglich der
                Eingehung von Ehen oder der Kindererzeugung seitens der Wächter oder

                Herrscher des Ideal-Staates die Wiederkehr dieses günstigen Zeitpunktes
                an eine Zahl zu knüpfen, neben welche aber zugleich eine zweite Zahl
                gestellt wird, unter deren Einguß gleichsam die ungünstigeren und für
                den Staat unglücklicheren Geburten stehen; beide Zahlen aber werden





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