Page 287 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ausdrückt als »Harmonien«, d. h. als irgend musikalische Verhältnisse
                bezeichnet und mit Worten und Anschauungen gemischt, welche
                entschieden der Geometrie angehören; und wir dürfen wohl am

                wenigsten an die gewöhnlichen Zeitmaße, sei es Jahre oder Monate oder
                Tage oder Stunden, denken, so daß die beiden Zahlen bloß die Anzahl
                solcher Zeiteinheiten bedeuten würden, nach deren Ablauf immer wieder
                ein solcher für die Zeugung günstiger Zeitpunkt einträte, sondern gewiß
                müssen wir uns die Sache so vorstellen, daß nach Plato’s Ansicht in sehr
                vielen und sehr verschiedenen Zeiten die eine oder die andere der beiden
                Harmonien obwalten könne; denn die Lenker des Staates sollen ja gerade

                das Wissen davon haben, ob ein bestimmter Zeitpunkt für
                Kindererzeugung günstig oder ungünstig sei, und aus Unkenntniß in
                dieser Beziehung folgt die Verschlechterung der Generation der Wächter.
                Daß die sog. Constellation der Gestirne am Himmel zur Berechnung
                dessen, welche Harmonie in einer bestimmten Zeit gerade obwalte, auch
                beizuziehen sein sollte, wollen wir nicht in Abrede stellen, aber sicher

                gehörte zu jener Berechnung noch eine Menge von Einzelnheiten
                betreffs der Verhältnisse des Staates und der Wächter selbst u. s. w.; so
                daß, je näher wir uns ein solches berechnendes Verfahren in unserer
                Vorstellung ausmalen, wir um so entschiedener zur Ueberzeugung
                kommen müssen, daß wirklich nur eine mystische Anschauung
                musikalisch-geometrischer Zahlenverhältnisse das Maßgebende war.
                . Diese gesammte geometrische Zahl aber waltet eben über das

                Derartige, nemlich über die besseren und schlechteren Geburten, und
                wenn euch die Wächter aus Unkenntniß derselben zur Unzeit
                Hochzeiterinnen mit Hochzeitern vereinigen, so werden keine trefflich
                begabten und keine glücklichen Kinder hieraus entstehen. Allerdings
                werden die besten unter ihnen durch ihre Vorgänger als Herrscher
                aufgestellt werden, aber dennoch werden sie, weil sie eben als

                Unwürdige in die Macht ihrer Väter eintreten, zuerst damit beginnen, uns
                Musen zu vernachlässigen, indem sie, obwohl sie Wächter sind, die
                musische Bildung geringer anschlagen werden, als sie sollten, und
                hiernach ebenso auch die gymnische Bildung; hiedurch also werden euch
                die Jünglinge ungebildeter werden, und in Folge hievon werden sie als
                Herrscher aufgestellt werden, welche durchaus keine große Befähigung
                dazu haben, Wache zu halten im Hinblicke auf eine prüfende Einsicht in

                die bei HesiodosTage u. Werke, V. 109 ff. erwähnten und bei euch sich
                findenden Geschlechter, nemlich das goldene und das silberne und das
                eherne und das eiserne Geschlecht. Wenn aber Eisen mit Silber und Erz
                mit Gold vermischt wird, so entsteht eine Ungleichheit und eine





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