Page 292 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Uebergang auch einem Blinden klar. – Wie so? – Jene Vorrathskammer,
                sagte ich, richtet dadurch, daß sie bei einem Jeden mit Gold gefüllt wird,
                jene so beschaffene Staatsverfassung zu Grunde. Erstens nemlich werden

                sie Gegenstände des Aufwandes für sich ausfindig machen und die
                Gesetze nach dieser Seite hinüber drehen, Ungehorsam gegen sie
                zeigend, sie selbst und ihre Weiber. – Ja, so scheint es, sagte er. – Sodann
                ja, glaube ich, sieht hiebei der Eine auf den Anderen und geräth in
                Eifersucht, und so machen sie die gesammte Masse ihrer selbst zu einer
                derartigen. – So scheint es. – Von da aus demnach, sagte ich, schreiten
                sie im Gelderwerbe vorwärts, und je ehrenhafter ihnen eben dieß gilt,

                desto unehrenhafter die Vortrefflichkeit; oder ist nicht auf diese Weise
                von Reichthum die Vortrefflichkeit getrennt, wie wenn beide in den
                Schalen einer Wage lägen und jedes von beiden stets nach der
                entgegengesetzten Seite zöge? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Wenn
                demnach der Reichthum und die Reichen in einem Staate geehrt werden,
                so werden die Vortrefflichkeit und die Guten mißachtet sein. – Dieß ist

                klarIm Gegentheile, es ist dieß durchaus nicht klar; denn es bleibt ja auch
                noch die richtige und von wahrer Staatsweisheit geleitete Verwendung
                des Reichthumes übrig. Es ist geradezu ein Mißkennen des menschlichen
                Wesens, wenn man Besitz und Vortrefflichkeit als unverträgliche
                Gegensätze bezeichnet. Ueberhaupt ist Sämmtliches, was hier Plato von
                den vier Staatsformen und deren Uebergang sagt, eben bloß doktrinäre
                Theorie, und nicht einmal durch die griechische Staaten-Geschichte

                gerechtfertigt, geschweige denn von allgemein menschlichem Werthe;
                nur in dem Zusammenhange mit Plato’s Psychologie liegt der Werth all
                dieser Bemerkungen (wie will es denn z. B. diese platonische Staats-
                Philosophie erklären, wenn aus einer Demokratie eine Oligarchie wird?
                der doctrinäre Faden wird ja nur in Einer Richtung von der Aristokratie
                abwärts zur Tyrannis fortgesponnen).. – Geübt aber wird ja immer, was

                man ehrt, vernachlässigt hingegen, was man mißachtet. – Ja, so ist es. –
                Aus streitliebenden und ehrliebenden Männern sind sie demnach zuletzt
                erwerbliebende und geldliebende geworden, und den Reichen preisen
                und bewundern sie und führen ihn zu den Ausübungen der Herrschaft,
                den Armen aber mißachten sie. – Ja, gewiß. – Nicht wahr also, dann
                stellen sie hiemit ein Gesetz als das Maß der oligarchischen
                Staatsverfassung auf, indem sie eine gewisse Menge Geldes festsetzen,

                und zwar eine größere, wo es in höherem Grade eine Oligarchie ist, und
                eine kleinere, wo in geringerem Grade, und sie sprechen es aus, daß an
                der Herrschaft keinen Theil habe, wer nicht ein Vermögen im Belange
                der festgesetzten Schätzung besitze. Solches aber setzen sie entweder mit





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