Page 294 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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mehr ist, nemlich weder ein Gelderwerber noch ein Handwerker, noch
                ein Berittener, noch ein Schwerbewaffneter, sondern eben nur als Einer,
                welcher arm und mittellos genannt wird. – Allerdings die erste, sagte er,

                ist diese Verfassung. – Verhindert wenigstens wird Derartiges in den
                oligarchisch regierten Staaten nicht; denn sonst wären nicht die Einen
                übermäßig reich und die Anderen gänzlich arm. – Dieß ist richtig. – Sieh
                aber auch Folgendes: Hat etwa, wenn der Derartige als ein Reicher einen
                Aufwand gemacht hat, dieß dann dem Staate irgend einen größeren
                Nutzen in der eben angegebenen Beziehung verschafft, oder war es nur
                Schein, daß er zu den Herrschern gehöre, er selbst hingegen in

                Wirklichkeit weder ein Herrscher, noch ein Diener des Staates, sondern
                eben nur ein Aufzehrer des Bereitliegenden? – Ja, sagte er, es war ein
                Schein, er selbst aber war nichts Anderes, als ein Aufzehrer. – Willst du
                also, sagte ich, daß wir von ihm behaupten sollen, er sei, sowie in den
                Wachswaben eine Drohne als eine Krankheit des Bienenstockes entsteht,
                in gleicher Weise in seinem Hause als Drohne und als eine Krankheit des

                Staates entstanden? – Ja, allerdings so, o Sokrates, sagte er. – Nicht wahr
                also, o Adeimantos, die geflügelten Drohnen hat der Gott sämmtlich
                ohne Stachel entstehen lassen, von diesen zweibeinigen aber Einige ohne
                Stacheln, Andere hingegen mit fürchterlichen Stacheln? und aus den
                Stachellosen werden zuletzt Bettler bis in ihr Greisenalter, aus den mit
                einem Stachel Versehenen aber alle Diejenigen, welche als Uebelthäter
                bezeichnet werden. – Völlig wahr ist dieß, sagte er. – Klar also ist, sagte

                ich, daß, wo du in einem Staate Bettler siehst, dort auch irgendwo in
                dieser Gegend versteckte Diebe und Beutelschneider und Tempelräuber
                und Verüber aller derartigen Uebel sein werden. – Ja, klar ist es, sagte er.
                – Wie nun? siehst du nicht, daß in den oligarchisch regierten Staaten sich
                Bettler finden? – Ja, beinahe Alle, sagte er, sind es, mit Ausnahme der
                Herrscher. – Sollen wir also nicht glauben, sprach ich, daß auch viele

                Uebelthäter, welche mit Stacheln versehen sind, in denselben seien,
                welche von den Obrigkeiten sorgfältig mit Gewalt im Zaume gehalten
                werden? – Wir werden es wohl glauben, sagte er. – Werden wir also
                nicht behaupten, daß in Folge eines Mangels an Bildung und einer
                schlechten Pflege und der Einrichtung der Staatsverfassung sich die
                Derartigen dortselbst einfinden? – Ja, wir werden es behaupten. – Also
                derartig beschaffen dürfte der oligarchisch regierte Staat sein und so

                viele Uebel dürfte er enthalten, vielleicht aber auch noch mehrere. – So
                ziemlich wohl, sagte er. – Erledigt demnach, sprach ich, sei uns hiemit
                auch diese Staatsverfassung, welche man Oligarchie nennt, und welche
                in Folge der Vermögensschätzung ihre Herrscher hat.





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