Page 298 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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verwundenden Pfeil, und indem sie die Zinsen als Sprößlinge des
Kapitales in vervielfachtem Maße eintreibenDer Zinsfuß bei
Gelddarlehen war in Athen sehr hoch; es wurden nemlich monatlich Ein
bis drei Procente bezahlt und außerdem Zinses-Zinsen berechnet.,
erzeugen sie im Staate eine große Menge Drohnen und Bettler. – Wie
sollte auch, sagte er, nicht eine große Menge derselben entstehen? – Und
weder durch jenes Verfahren, sagte ich, wollen sie das auflodernde
derartige Unheil löschen, daß sie die beliebige Veräußerung der Habe
verhindern, noch auch durch folgendes, durch welches hinwiederum
gemäß eines anderen Gesetzes derartiges abgeschnitten würde. – Gemäß
welchen Gesetzes? – Gemäß eines Gesetzes, welches nach jenem das
zweite wäre und die Bürger nöthigen würde, der Vortrefflichkeit sich
hinzugeben; nemlich wenn es vorschriebe, daß man auf seine Gefahr hin
den größten Theil der freiwilligen Contracte abschließe, so würde man
wohl weniger unverschämt Geldgeschäfte im Staate machen, und in
geringerer Zahl würden die derartigen Uebel, von welchen wir so eben
sprachen, hervorsprossen. – Ja, bei Weitem, sagte er. – Nun aber, sprach
ich, führen ja durch all Derartiges die Herrscher einen solchen Zustand
der Beherrschten in dem Staate herbei; was aber sie selbst und die
Ihrigen betrifft, werden sie nicht die Jünglinge üppig und arbeitsscheu
bezüglich des Körpers und bezüglich der Seele machen, und weichlich
betreffs der Selbstbeherrschung in Vergnügen und Schmerz, und
überhaupt thatenlos? – Wie sollte es anders sein? – Sie selbst aber
werden Alles mit Ausnahme des Gelderwerbes vernachlässigen und auf
die Vortrefflichkeit eben so wenig Sorgfalt verwenden, wie auch die
Armen? – Allerdings keine. – Wenn demnach in solchem Zustande die
Herrscher und die Beherrschten zusammentreffen, sei es auf Reisen oder
in anderer Gemeinschaft oder bei Festgesandtschaften oder in Feldzügen
oder als Schiffs-oder Zelt-Genossen oder als gegenseitige Beobachter im
Augenblicke einer Gefahr, dann werden wohl keineswegs die Armen von
den Reichen verschmäht werden, sondern wenn häufig ein armer,
hagerer, sonnverbrannter Mann im Kampfe neben einem Reichen steht,
welcher in behaglichem Schatten aufgewachsen und von fremdem
Schweiße gar wohl beleibt geworden ist, und er das Keuchen und die
Unbeholfenheit desselben sieht, glaubst du dann nicht, er werde der
Ansicht sein, daß die Derartigen nur durch ihre Schlechtigkeit reich
seien, und es werde, wenn sie einzeln zusammenkommen, der Eine dem
Anderen zuflüstern: »unsere Herren sind Nichts werth«? – Ich weiß
allerdings sehr wohl, sagte er, daß sie dieses thun. – Nicht wahr also,
sowie ein krankhafter Körper nur einen kleinen Anstoß von Außen zu
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